Blutkrieg
Abu Dun und Andrej
dankend abgelehnt. Andrej war nicht zimperlich, aber er hatte es
sich schon vor langer Zeit zur Angewohnheit gemacht, nichts zu
essen, von dem nicht wenigstens zu erahnen war, was es einmal
gewesen sein mochte, und von dem er nicht sagen konnte, ob es
sich noch oder schon wieder auf seinem Teller bewegte.
Doch das Bier, das man ihnen aufgetischt hatte, schmeckte
nicht nur süß und fremdartig, sondern war auch stärker als
mancher Schnaps, den Andrej getrunken hatte. Er hatte einen
halben Krug davon hinuntergestürzt, und hätte ihm nicht sein
Körper mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten dabei
geholfen, den Alkohol fast so schnell wieder abzubauen, wie er
sich damit vergiftete, wäre er schon von diesen wenigen
Schlucken hoffnungslos betrunken gewesen.
»Aber wenn es euch doch so wenig hier bei uns gefällt, was tut
ihr dann hier?«, fuhr der Blonde fort, in einem gespielten
Plauderton, von dem sich Andrej nicht täuschen ließ.
»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete er ausweichend.
Um seiner Frage zuvorzukommen, zwang er sich zu einem
Grinsen und fügte hinzu: »Und vor allem eine langweilige. Wir
waren in der Tat auf der Suche nach etwas Abwechslung und
vielleicht dem einen oder anderen Abenteuer und haben auf
einem Schiff angeheuert.« Er zuckte mit den Achseln und nippte
vorsichtig an seinem Bier. »Um ehrlich zu sein, war das einzig
Abenteuerliche das Essen, das es an Bord gab, und als es darum
ging, uns unseren Lohn auszuzahlen, hat uns der Kapitän unter
einem Vorwand an Land geschickt und war verschwunden, als
wir zurückkamen.«
Das kam der Wahrheit nicht einmal annähernd nahe, aber zu
erzählen, was sie tatsächlich hierher verschlagen hatte, hätte die
Situation kompliziert gemacht. Und das Letzte, was Andrej sich
jetzt wünschte, war Ärger. Auch wenn Abu Dun und er
durchaus in der Lage waren, mit diesem Dutzend nordischer
Riesen fertig zu werden, so war er doch des Kämpfens und
Davonlaufens müde. Nach Monaten, die sie nun durch die
eisigen Einöden des Nordens und sein niemals endendes
Zwielicht geirrt waren, suchte er einen Platz zum Ausruhen und
vielleicht eine kurze Weile des kostbarsten Gutes, auf das Abu
Dun und er in ihrem unendlich langen Leben jemals gestoßen
waren. Frieden.
»Ja, so etwas kann passieren«, antwortete der Blonde. Er
lachte leise. »Auch wenn es meine Landsleute sind, so muss ich
doch zugeben, dass es immer wieder einmal einen Kapitän gibt,
der nur auf ein paar Dummköpfe wartet, die er hereinlegen
kann.«
»Ich fürchte, einer von ihnen hat sie gefunden«, erwiderte
Andrej mit einem gequälten Lächeln, bevor Abu Dun aufstehen
und seinem Gegenüber für den Dummkopf den seinigen zu Brei
schlagen konnte. »Und deshalb sind wir hier«, schloss er. »Man
hat uns gesagt, dass es hier nicht nur ein Gasthaus gibt, in dem
Fremde willkommen sind, sondern auch einen Hafen.«
»Das ist wahr«, sagte der andere. »Und?«
»Wenn es hier einen Hafen gibt, dann gibt es auch Schiffe«,
antwortete Andrej. »Und wer weiß – vielleicht ja auch einen
Kapitän, der zwei Dummköpfe sucht, die bereit sind, nur für
eine Überfahrt in die Heimat zu arbeiten.«
Er wusste, dass er mit seiner spöttischen Bemerkung einen
Fehler beging, noch bevor er die Worte vollends ausgesprochen
hatte. Abermals wurde es stiller im Raum, und die Augen des
Blonden verengten sich. Ein endlos langer Atemzug verstrich, in
dem man eine Nadel hätte fallen hören können, dann aber lachte
der Blonde, laut und dröhnend und lange. Schließlich, nachdem
er sich wieder beruhigt und einen weiteren gewaltigen Schluck
aus seinem Bierkrug genommen hatte, maß er zuerst Abu Dun
und dann Andrej mit abschätzendem Blick. »Und nun sucht ihr
jemanden, der euch zu einem solchen Kapitän bringen kann«,
vermutete er.
Andrej nickte.
»Und ich nehme an, ihr habt kein Geld, um für diese kleine
Gefälligkeit zu bezahlen?«
»Ich fürchte, so ist es«, gestand Andrej. »Wie gesagt: unsere
letzte Heuer ist zusammen mit dem Schiff auf und davon.«
Wieder lachte der Blonde und wieder nahm er einen
gewaltigen Schluck, bevor er fortfuhr. »Du hast Glück, kleiner
Mann«, sagte er. »Unser Ort ist berühmt für seine
Gastfreundschaft und dafür, dass wir jedem Fremden helfen, der
in Not ist.« Er stand auf. »Trinkt noch einen Krug Bier und
wartet hier, bis ich zurück bin. Ich will sehen, was ich für euch
tun kann.«
Andrej hatte ein Schiff in der Art
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