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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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der Schwarzen Gischt erwartet. Doch was er sah, verblüffte ihn, weil es geradewegs
aus einer anderen Zeit zu stammen schien. Schlanke
Drachenboote wie das, das vor ihnen in der sanften Dünung lag
und dann und wann mit einem scharrenden Laut gegen die aus
groben Stämmen gebaute Mole stieß, hatten vor einem
Jahrhundert zu den Schrecken der nördlichen Meere gezählt.
Heute sah man sie nur noch selten – um genau zu sein, hatte
Andrej noch nie ein solches Schiff zu Gesicht bekommen,
allenfalls kannte er es von Bildern und aus Erzählungen.
    Dennoch war es ein beeindruckender Anblick. Das Schiff war
nicht sonderlich groß. Selbst die jämmerliche Schwarze Gischt hatte doppelt so hoch aus dem Wasser geragt und war um fast
ein Drittel länger gewesen und ungleich massiger. Dennoch
wirkte es auf schwer in Worte zu fassende Weise
beeindruckend, fast Ehrfurcht gebietend. Der schlanke Rumpf
mit dem hochgezogenen Drachenkopf, die mehr als zwei
Dutzend flach nach hinten angelegten Ruder und der einzelne
Mast mit dem gerefften rot-weißen Segel erweckten den
Eindruck von unbändiger Kraft; als warte das Schiff nur darauf,
endlich losgelassen zu werden und sich in das Element zu
stürzen, für das es geschaffen war, auf der Jagd nach Beute.
    »Das ist das Schiff, von dem du gesprochen hast?«, brach Abu
Dun das erstaunte Schweigen. Seine Stimme klang sonderbar,
fast erschrocken. Andrej fragte sich, ob ein Schiff dieser Art für
den Nubier vielleicht mehr bedeuten mochte als für ihn.
    »Es ist das einzige Schiff, das es hier gibt«, antwortete der
blonde Hüne. Ansen, so hatte sich ihr schmuddeliger Gastgeber
vorgestellt, nachdem er nach überraschend kurzer Zeit
zurückgekommen war und Andrej abermals verblüffte, indem er
ihre Zeche übernahm. Jetzt sah er den Nubier aus der Höhe
seiner imponierenden Größe verletzt an. Er klang enttäuscht, als
er weitersprach. »Gefällt es dir nicht, schwarzer Mann?«
    Andrej schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Abu Dun
sich beherrschte. Er wusste nicht, ob es nun Ansens Art war
oder ob er sie reizen wollte – der blonde Riese hatte jedenfalls
Abu Dun und ihn bisher stets mit schwarzer Mann und kleiner
Mann angesprochen, niemals mit ihren Namen. Zu seiner
Erleichterung ging Abu Dun nicht darauf ein.
    »Nein«, knurrte er.
»Warum nicht?« In dem schmuddeligen Gestrüpp, das die
untere Hälfte von Ansens Gesicht verbarg, blitzte eine doppelte
Reihe gelber, beeindruckend großer Zähne in einem Grinsen
auf. »Bist du Besseres gewohnt?«
»Ich habe schlechte Erfahrungen mit Schiffen wie diesem
gemacht«, antwortete der Nubier. Sein Blick tastete unstet über
den langgestreckten Rumpf des Drachenbootes, und Andrej
wusste, dass dies keine bloße Behauptung war.
»So?«, wunderte sich der Nordmann. »Wann, und wo?« Er
klang lauernd, fand Andrej.
»Es ist lange her«, antwortete Abu Dun ausweichend. »Sehr
lange.«
Andrej warf seinem Begleiter einen warnenden Blick zu und
wandte sich dann, absichtlich eine Spur lauter als notwendig, an
den blonden Riesen. »Und dieses Schiff fährt …«, begann er,
ließ den Satz aber absichtlich unbeendet.
»Nicht bis zu eurer trockenen Heimat«, führte Ansen die Frage
zu Ende und schüttelte den Kopf. »Aber in südlicher Richtung.«
»Und wohin genau?«, hakte Abu Dun nach.
»Das wissen die Götter allein«, erwiderte Ansen. »Vielleicht
irgendwohin, wo es reiche Beute oder einen guten Handel gibt.
Vielleicht auch nach Walhalla. Aber hast du nicht gesagt, dir
wäre jede Küste recht, die wärmer ist als unsere, schwarzer
Mann?«
Abu Dun nahm die neuerliche Herausforderung nicht zur
Kenntnis, sondern maß nun den Nordmann mit einem ebenso
zweifelnden Blick wie dem, mit dem er zuvor das Schiff bedacht
hatte. »Und du bist sicher, dass der Kapitän uns mitnimmt?«
»Und was müssen wir dafür tun?«, fügte Andrej hinzu.
Ansens gelbliches Grinsen wurde nochmals breiter. »Siehst du
die Ruder, kleiner Mann?«, fragte er. »Es ist ganz einfach. Man
hält sie fest und zieht, drückt und zieht, und das so lange, bis
Land vor dem Bug auftaucht.«
Um ein Haar hätte Andrej laut aufgestöhnt. Ihr unheimlicher
Führer konnte es nicht ahnen, doch er wusste, wovon Ansen
sprach, auch wenn es sehr lange zurücklag. Er war schon
Galeerensklave gewesen, und er hatte das dumpfe Gefühl, dass
es keinen großen Unterschied machte, ob man nun von
Peitschen im Takt gehalten in Ketten lag oder ob man sich
freiwillig in

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