Blutkult (German Edition)
Größe war. Ein weiter schwarzer Umhang bedeckte seinen Körper fast völlig, doch aus dem Schatten seiner Kapuze blickten die Augen eines Raubtiers hervor. Das weißhäutige Gesicht, das sie barg, war kantig, mit scharfen Zügen. Die Haut war unnatürlich glatt und mutete beinahe jugendlich an.
Schaurige Geschichten eilten dem Reiter voraus. Mehr als einer unter den Wegelagerern hatte sie aus den Mündern vieler reisender Händler vernommen, bevor sie diese gemeuchelt hatten.
Von einem unsterblichen Wesen war die Rede, das die Leben der Menschen fraß, und das ehrfurchtsvoll die Bestie genannt wurde. Wer ihrem Hunger nach der Kraft des Lebens nicht anheimfallen wollte, vermied es, den Weg der Bestie zu kreuzen.
Das Altoryagebirge begann bereits in den Pregargebirgskamm überzugehen, der sich wie eine natürliche Mauer zwischen den Ländern Kanochien und Laskun gen Norden erstreckte.
Die Witterung war rau, in manchen Höhenlagen fiel Schnee, während weit unten in den Tälern Laskuns längst der Frühling Einzug gehalten hatte.
Auf eines dieser grünen Täler konnte Larkyen jetzt hinabsehen. Mit seinen Wiesen, Bäumen und Feldern erschien es inmitten der kargen Einöde umliegender Berge wie eine fruchtbare Oase aus den Sandwüsten des tiefsten Südens.
Als sei es Schicksal, trug der Wind die Schreie einer Frau an sein Ohr. Die darin erklingende Pein verriet Larkyen, dass die harten Gesetze der Wildnis wieder einmal ihren Tribut forderten.
„ Hilfe!“ erklang ein erneuter Schrei. „Hilfe, bitte. Wir werden überfallen!“
Jene, die den Stahl beherrschten, schienen sich mit Gewalt zu nehmen, was sie begehrten.
Larkyen rang mit dem Gedanken, die Unterlegenen sich selbst zu überlassen, so wie es in der Natur üblich war, und weiter nach Westen zu ziehen, dem Land Kentar entgegen.
Diese Schreie aber, dieses Flehen nach Hilfe, so aussichtslos sie inmitten der Berge auch erschienen, erinnerten ihn an ein altes Leid. Und wer hier und jetzt Hilfe benötigte, der sollte sie auch bekommen.
Er beschleunigte sein Tempo. Der Pass führte über eine Anhöhe hinweg und gabelte sich dann. Larkyen wählte den Pfad, der nach rechts führte, um dorthin zu reiten, von wo die Stimmen kamen.
Der Weg führte steil ins Tal hinab. Nahe eines Bachlaufs stand ein großes Gehöft. Eine Frau kniete in einigem Abstand vor dem Gebäude im Gras und versuchte mit einer Hand ihre zerrissene Kleidung zusammenzuhalten. Neben ihr lag regungslos eine zweite Person, um die sie ihren anderen Arm schloss.
Ein großer dunkelhäutiger Mann mit einem breiten Säbel in der Hand baute sich vor ihnen auf. Seine Sprache war die eines Zhymaraners.
Die Rufe der Frau verwandelten sich daraufhin in ein Flehen.
„ Bitte, lass mich zu meinem Kind.“
Zwei weitere Gestalten kamen aus einer Tür des Gehöfts gerannt. Hinter ihnen schlugen Flammen aus den Fenstern, und Rauchschwaden stiegen bereits gen Himmel.
„ Mein Kind!“ kreischte die Frau. Sie sprang vom Boden auf, wurde jedoch von dem Zhymaraner mit der flachen Hand zurückgeprügelt.
Doch noch ehe Larkyen das brennende Gehöft erreichte, ritten die drei Gestalten auf ihren Pferden davon.
Die Frau stürmte weinend auf das brennende Gebäude zu.
Larkyen erreichte sie, bevor sie dem Flammentod zum Opfer fiel, und schwang sich vom Pferd. Ein Blick seiner Raubtieraugen genügte, um sie verstummen zu lassen.
„ Warte hier“, befahl er.
Dann legte er seinen Umhang ab und tauchte ihn in das kühle Bachwasser, das ihn sogleich durchtränkte.
Mit raschen Schritten trat Larkyen in das Gebäude ein. Die Hitze des Feuers, zusammen mit dem dichter werdenden Rauch, raubte ihm den Atem. Er wich herabfallenden Holzbalken aus und durchschritt einen Raum nach dem anderen. Plötzlich hörte er das Weinen eines kleinen Kindes. Schnell hatte er es entdeckt. Es war ein Junge, kaum größer als der Pfosten seines Bettes, an den er sich kauerte.
Larkyen beugte sich zu dem Kind hinab.
„ Es wird alles gut“, flüsterte er.
Er wickelte den nassen Umhang um das Kind, hob das Bündel in seine Arme und drückte es fest an seine Brust. Der Junge schrie und schien nicht zu begreifen wie ihm geschah.
Larkyen trug ihn aus dem Zimmer.
Längst hatten die Flammen jeglichen Weg nach draußen versperrt. Der Rauch wurde dichter, raubte ihm die Sicht, und mit jedem weiteren Atemzug verspürte er einen stechenden Schmerz in seiner Lunge. Irgendwo vom Dachgebälk ertönte ein lautes Knarren. Funken regneten herab
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