Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

wie er da stand, sich am Kopf kratzte und zu den riesigen Toren aufschaute, hatte Criminy einen Mordsspaß dabei, den Bauerntrampel zu spielen. Er hob den Hirschkopf wieder auf und ging durch die Tür. Ich folgte ihm direkt auf den Fersen.
    Als die Tür hinter uns zugekracht war, fragte er flüsternd: »Bist du da, Mäuschen?«
    Ich antwortete, indem ich ihm sanft über den Rücken strich, genau da, wo ich ihn gekratzt hatte.
    »Ja, du bist da«, murmelte er. »Versuche, Schritt zu halten.«
    Er spielte weiterhin Rafael Fester, das Landei, und glotzte die Geschäfte und die Passanten an, lief den Leuten ständig vor die Füße, und rempelte an einer Stelle versehentlich eine stattliche Pinkie-Dame mit seiner blutigen Trophäe an. Er fragte willkürlich Leute nach dem Weg nach Darkside, und gab sich dann alle Mühe, den falschen Weg zu nehmen.
    Dennoch war mir klar, dass er genau wusste, wohin er ging, und ich hielt mich so nah an ihn wie nur möglich und versuchte gleichzeitig daran zu denken, nicht selbst mit jemandem zusammenzustoßen. Ich sah ein schmutziges Gassenkind, das sich an ihn heranschlich, um ihn zu bestehlen, und beinahe wollte ich einschreiten, doch Criminy drehte sich schnell herum und donnerte dem Jungen dabei eine Geweihsprosse ins Gesicht, während er rief: »Was, wer hat das gesagt?«, so wie schwerhörige alte Herren das eben tun. Der Gassenjunge verdrückte sich wieder in die Schatten und rieb sich eine Beule an der Stirn.
    Endlich konnte ich einen der schattenhaften Eingänge nach Darkside sehen, obwohl ich hier nichts von unserer früheren Reise zu Antonins Haus wiedererkannte. Wir befanden uns in einem Teil der Stadt, den ich zuvor nicht gesehen hatte. Inmitten seiner eigenen Leute entspannte sich Rafael etwas und streckte den Rücken durch, bevor er einen vorbeikommenden Kaminfeger nach dem Weg zum Gasthaus Holofernes fragte.
    »Das ist zwei Blocks weiter, aber da sollten Sie nicht hingehen«, flüsterte der Kaminfeger gedämpft. »Die Copper wissen alles, was in dem Gasthaus vor sich geht, Freund. Was in den Mund hineingeht, und ebenso, was herauskommt.«
    »Aber die Wache am Tor hat gesagt, ich muss mir ein Abzeichen besorgen«, antwortete Rafael und tat verwirrt. »Was passiert, wenn ich nicht hingehe?«
    »Seien Sie kein Narr, alter Mann«, zischte der Kaminfeger. »Besorgen Sie sich ein gefälschtes Abzeichen im Untergrund. Gehen Sie zu –«
    Plötzlich wich er zurück, als ein Copper um die Ecke kam und schnurstracks auf sie zusteuerte. Er hob Eimer und Feger auf und sagte, eine Spur zu laut: »Freut mich, dass es ihr gut geht; und sagen Sie ihr Grüße von mir, ja?«
    Der Kaminfeger wandte sich zum Gehen, aber der Copper ließ seinen Schlagstock bedeutungsvoll schwingen und sagte: »Ich sehe dein Abzeichen nicht, Bluddy. Yorick muss dir wohl eine Wegbeschreibung zum Haus Holofernes gegeben haben. Wie freundlich. Von hier an übernehme ich.«
    Der Kaminfeger machte, dass er wegkam, während der Copper mit dem Schlagstock die Richtung anzeigte, um Rafael die dunkler werdende Straße entlangzudirigieren. Natürlich kam er nicht nahe genug, um den ach so gefährlichen Bludmann zu berühren, wie alt und gebrechlich der auch wirken mochte.
    »Wollen ja nicht, dass du dich verirrst«, meinte der Copper. »Könnte dir ja was Böses zustoßen.«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe«, antwortete Rafael, beinahe überzeugend.
    Ich folgte hinterdrein, still wie ein Geist. Es dämmerte, und blaue Wolken türmten sich über uns am Himmel. Schatten zeichneten sich ab, als orangefarbene Gaslampen zischend zum Leben erwachten. Ich wartete schon auf die ersten dicken Regentropfen, aber noch hielt der Himmel dicht.
    Läden öffneten ihre Türen für Bludleute, die den ganzen Tag über als Diener der Beute gearbeitet hatten, und das warme Licht zeichnete fröhliche Rechtecke auf das Kopfsteinpflaster. Bludleute jeden Alters strömten auf die Straßen; die Frauen gingen Arm in Arm, unterhielten sich in Gruppen miteinander, oder traten durch die offenen Türen, um Besorgungen zu erledigen. Der Unterschied zwischen den entspannten Bludfrauen in ihren auffallenden, offenen Kleidern und den verkrampften, nervösen Pinkies, die so hochgeschlossen und eingeschnürt waren, war schockierend. Das höhnische Grinsen, das der Copper ständig zur Schau stellte, machte seinen Abscheu für Darkside mehr als deutlich, und ich konnte nicht widerstehen, ihn einmal zum Stolpern zu bringen. »Verdammte Bluddies,