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Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Titel: Blutland - Von der Leidenschaft gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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sorgfältig darauf, mit ihm im Gleichschritt zu laufen, damit sich niemand wundern konnte, warum ein alter Mann zweimal soviele Schritte machte wie normal. Er öffnete die Zimmertür und ließ den Hirschkopf zu Boden fallen, wo er mit einem Platsch landete. Ich folgte ihm nach drinnen, und er warf die Tür mit dem Fuß zu, umarmte mich und flüsterte: »Ich kann dich nicht sehen, aber ich kann dich immer noch riechen, mein Liebes.«
    Ich versuchte, mich ihm zu entwinden, aber er hielt mich fest und schnupperte, bis er mein Gesicht erreicht hatte.
    »Da bist du«, hauchte er, und seine Lippen fanden meine. Ich drehte mich etwas und stutzte, als ich am anderen Ende des Zimmers eine Bewegung wahrnahm. Ich schaute hin und sah einen bodenlangen ovalen Spiegel, in dem ein älterer Herr leidenschaftlich mit der Luft herumknutschte. Als ich mich vor Lachen schüttelte und auf den Spiegel zeigte, zog er sich zurück.
    Ach ja – er konnte mich ja nicht sehen.
    »Ich habe nur gerade zugesehen, wie du im Spiegel mit der Luft herummachst«, flüsterte ich. »Das war ein ziemlicher Anblick.«
    Rafael lachte leise; dann setzte er sich aufs Bett und begann, seine Stiefel aufzuschnüren.
    »Was machst du da?«, fragte ich.
    »Ich mache mich frisch, wie ein braver kleiner Bludmann«, antwortete er. »Direkt nachdem ich etwas getan habe, was ein Sichfrischmachen nötig machen wird. Mir ist danach, mit dem unartigen kleinen Geist von Viviel Fester zu verkehren.«
    Und er zeigte mir sein wölfisches Grinsen, das mich innerlich dahinschmelzen ließ.
    Ich ließ mir noch einen Augenblick Zeit, ging zum Fenster und spähte durch die Vorhänge. Schwerer, öliger Regen prasselte aufs Kopfsteinpflaster, das dadurch im orangefarbenen Gaslicht aussah wie von Schneckenschleim überzogen. Ich zog die Vorhänge zu. Hier drinnen war es wesentlich interessanter für mich.
    »Du kannst mich doch nicht einmal sehen«, neckte ich ihn. »Und wir haben schon heute Nachmittag etwas getan, was eine Erfrischung nötig macht. Außerdem bist du ein alter Mann. Und du musst immer noch auf eine Party gehen.«
    »Ich muss dich nicht sehen«, erörterte er. »Bald ist es ohnehin dunkel, und ich kann dich immer noch fühlen und schmecken. Heute Nachmittag – das ist schon uralte Vergangenheit. Und zu der Party gehen wir beide, denn ich brauche deine Hilfe, um an Informationen zu kommen.«
    »Selbst wenn das alles zutrifft, glaubst du wirklich, ich möchte mich unfrisch machen mit einem albernen alten Mann?«, konterte ich.
    »Im Dunklen wirst du gar keinen Unterschied bemerken«, meinte er.
    »Vielleicht hast du einen Atem wie ein alter Mann.«
    »Vielleicht aber auch nicht«, antwortete er in seiner normalen Stimme, tief und rauchig.
    Er zog seine Stiefel aus, stand auf und schlüpfte aus seinem Mantel. Er sah mich direkt an, obwohl er mich gar nicht sehen konnte. Dann kam er auf mich zu und ließ seine Hände über mich wandern, bis sie auf meinen Schultern liegen blieben. Er hauchte mich an, und ich inhalierte seinen wundervollen Duft mit einem Seufzen.
    »Vielleicht auch nicht«, wiederholte ich.
    »Außerdem«, fuhr er fort, während er meine Schulter hinab bis zur Hand strich und mich zum Bett führte, »glaube ich nicht, dass du deine Entscheidung schon gefällt hast, was das Medaillon angeht. Das hier könnte meine letzte Nacht mit dir sein. Einer von uns könnte morgen sterben. Oder vielleicht verlässt du mich für immer. Ich möchte so viel Glückseligkeit mit dir haben, wie ich nur bekommen kann.« Er versuchte, scherzhaft und unbeschwert zu klingen, aber in seinen Worten konnte ich eine Art Lebewohl hören, und selbst wenn ich gewollt hätte – ich hätte ihn nicht abweisen können.
    Die Vorhänge waren schon zugezogen. Er machte das Licht aus. Im Dunkel waren wir beide unsichtbar. Es war Criminys Gesicht, das ich fühlte, sein weiches, glattes Haar, das durch meine Finger glitt. Ich fuhr seine Augenbrauen und Wangenknochen nach, die scharfgeschnittenen Züge, die ich überall erkannt hätte.
    »Ich weiß es einfach nicht«, flüsterte ich.
    »Und ich will es gar nicht wissen, nicht heute Nacht«, antwortete er, und dann trafen sich unsere Lippen, und unsere Körper verschmolzen miteinander, während keiner von uns war, was er zu sein schien.
    Unser erstes Mal war erforschend und spielerisch gewesen. Das im Wald war heftig und rau abgelaufen. Aber dieses Mal taten wir es langsam und bedächtig; jede Berührung, jeder Kuss war erfüllt von Sehnsucht

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