Blutlied -1-
längere Haare als vor meiner Krankheit und du, mein Liebster, siehst aus, als hättest du wochenlang gefastet.«
Frederic schluckte. »Du solltest dich noch etwas ausruhen ...«
»Ich glaube, du weichst mir aus.«
Caroline wurde übel, ihr Magen drehte sich und eine kalte Hand der Angst presste ihre Kehle zusammen. Ja, hier hatte sich etwas ganz entscheidendes geändert. Was es war, wusste sie nicht. Nur dass es so war, spürte sie mit aller Macht. Kein Kuss auf der ganzen Welt konnte ihre Sinne beruhigen, Sinne, die bebten wie die Schnurrhaare einer Katze.
»Gedulde dich noch etwas, Liebste«, murmelte Frederic, küsste sie und stapfte davon.
Verwirrt starrte Caroline ihrem Mann hinterher.
»Sollten wir Ihr das sagen, Ludwig? Sie wird darunter leiden. Sie wird es nicht begreifen.« Frederic drehte mit den Fingerspitzen den Globus und starrte darauf, als erwarte er dort eine Antwort zu finden.
»Warum gehst du davon aus, dass sie es nicht begreift? Warum sollte sie darunter leiden?« Ludwig nippte an seinem Brandy. Er hatte Frederic den Rücken zugedreht, blickte aus dem Fenster und wirkte nun einmal mehr wie ein Vater, der verantwortungsvoll seinem Sohn einen Ratschlag erteilt.
Frederic versetzte der Weltkugel einen Stoß. »Sie war tot, verdammt noch mal! Und zwar zwei Jahre lang. Nun lebt sie wieder. Fühlt sich gesund. Frisch und ausgeruht. Wenn sie die Wahrheit erfährt, wird sie sich fühlen wie ein Monster, wie eine abnorme Kreatur.«
»Warum sollte das so sein?« ließ sich Ludwig vernehmen. »Stelle dir vor, Sie erfährt es irgendwann einmal ... durch einen Zufall ... durch ein böses Spiel!« Nun war Ludwig endgültig zur vertraulichen Anrede übergegangen, was Frederic begrüßte, da es ihm ein Gefühl von Nähe und Wärme vermittelte. »Sie kennt Regus, hat ihn gesehen, auch wenn sie sich jetzt nicht mehr daran erinnert. Was, wenn ihre Erinnerungen zurückkehren? Was, wenn sie ihm begegnet und er ihr alles berichtet?«
»Das wäre tragisch. Aber vielleicht würde sie es dann nicht glauben, es für einen bösen Scherz halten.«
»Tatsächlich?« Ludwig ließ die Frage abtropfen. »Du liebst deine Frau über alles, mein Junge. Also wirst du Mrs Densmore doch kennen. Wie, frage ich dich, würde sie das sehen?«
»Sie ist eine starke Frau, Ludwig. Und bitte, nenne sie Caroline, wenn wir unter uns sind. So, wie du es die letzten eineinhalb Jahre getan hast.«
»Ist Caroline die Wahrheit lieber als die Lüge?«
»Sie ist ein redlicher Mensch. Das weißt du.«
Ludwig grunzte und leerte das Glas. Er drehte sich um, stellte das Glas auf ein Tablett und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Hat denn nicht jeder Mensch ein Recht darauf, seine Identität zu kennen?«, murmelte er fast unhörbar.
»Wie meinst du das?«, fragte Frederic.
Der Butler blickte auf und lächelte schief. »Ich habe allergrößte Zweifel daran, dass man eine Liebe auf eine Lüge aufbauen kann. Man wird früher oder später daran zugrunde gehen, und sei es schleichend. Und da Caroline dich liebt, wird sie sich an ihre neue Identität gewöhnen.«
»Dann muss sie alles erfahren, was geschah. Sie erinnert sich an nichts mehr, weiß also auch nicht, dass ich seit zwei Jahren ein Vampir bin. Sie muss also gleich mehrere entsetzliche Wahrheiten verkraften. Wird sie das nicht überfordern?«
»Gehe behutsam vor. Beweise, dass du ein liebender Ehemann und guter Freund bist. Es wird nicht einfach werden, aber ich bin sicher, du wirst das richtige tun. Vielleicht wird es einige Tage dauern, bis Caroline alles realisiert hat ... eure Liebe wird es überstehen. Ich für meine Person reiche für ein paar Tage Urlaub ein und besuche meine andere Schwester in Kent. Du hast deine Frau und das Haus also für euch!« Der alte Mann ging zur Tür, blieb dort stehen und deklamierte: »Lieb' ist ein Rauch, den Seufzerdämpf' erzeugten, geschürt, ein Feuer, von dem die Augen leuchten, gequält, ein Meer, von Tränen angeschwellt. Was ist sie sonst? Verständige Raserei und ekle Gall und süße Spezerei.«
Frederic lächelte. »Romeo und Julia!«
Ludwig nickte und machte mit dem Zeigefinger ein zustimmendes Zeichen. »Carpe diem ... mein Junge!« Er deutete eine Verneigung an und verließ Frederics Arbeitszimmer.
Caroline träumte.
Der Landauer rollte durch Maisfelder, gelb und reif, soweit das Auge sah. Frederic rauchte eine kubanische Zigarre, Ludwig saß auf dem Bock und trieb das Gespann an.
Der Himmel war
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