Blutlied -1-
Die Wahrheit, junge Lady! Wir sollten der Wahrheit verpflichtet sein!
Ausgerechnet er, dieser Dämon, schwang sich zum Richter auf. Er, der Onkel Albert und sie, Caroline, getötet hatte. Er, der Frederic zu einem Vampir gemacht hatte. Ein brutaler Untoter, ein Ungeheuer. Warum, um alles in der Welt, hatte er damals, im Treppenhaus, in ihrer ersten Nacht in Asburyhouse, ihr diese Fragen gestellt?
Was, wenn er sie nicht richten wollte? Wenn er nur neugierig war? Weil ihn die Düsternis faszinierte und das, was Menschen dazu treiben konnte.
Ja!, rief Caroline. Ja! Ich habe Terence nicht gerettet! Ich habe ihn sterben lassen!
Hörte sie Regus lachen?
Spürte sie seine morbide Begeisterung?
War er nahe?
Ich bin nicht besser als ihr alle dort! Terence hatte mich verprügelt, war betrunken und stürzte die Treppe hinab. Er lag zu meinen Füßen und Blut floss aus seinem Mund. Seine Augen waren geschlossen. Aber er atmete. Und atmete. Und lebte noch immer. Ich hätte einen Arzt rufen können, einen Bediensteten aus dem Gesindehaus, irgendwen. Aber ich unterließ es. Ich hockte neben der bewusstlosen Person und wartete. Wartete darauf, dass sie aufhörte zu atmen. Wartete mehr als dreißig Minuten. Dann bäumte Terence, der betrunkene Schläger, sich auf und starb. Er erstickte an seinem eigenen Blut!
Nie wieder würde er mich anrühren, nie wieder mich schlagen, nie wieder meine Ehepflichten einfordern.
Der Krieg hatte ihn verändert, korrumpiert, grausam und brutal gemacht. Hatte ihn verhärtet und seine Seele genommen. Aber, um Himmels Willen, war das meine Schuld? Musste ich für alles dies bezahlen? Nein! NEIN!!!
Und die Toten sangen ein trauriges Lied, während sie weinte. Sie fuhr sich über das Gesicht und spürte nichts, was auf Tränen hindeutete. Dennoch weinte sie. Es war ein Gefühl der Trauer, auch Selbstmitleid und die Sehnsucht nach ihm dort, der seine Lippen an die Kalebasse senkte, um das Blut zu trinken, welches ihm die Priesterin darbot.
Frederic!, rief sie schluchzend. Frederic! Pass auf, was mit dir geschieht! Ich liebe dich! Du befindest dich in großer Gefahr. Ich weiß es, weil ich es fühle. Seit Jahren bin ich dein guter Geist. Seit Jahren sehne ich mich danach, dich zu berühren, dich zu küssen, zu lieben. Wie mir scheint, soll dies nun geschehen. Diese Frau will uns zusammenführen. Sie will in das Gefüge der Geisterwelt eingreifen.
Und vielleicht gelingt es ihr!, hörte sie eine Stimme ganz in ihrer Nähe.
Sie wirbelte herum.
Auf einem Baum hockte ein schwarzer Rabe. So wie viele Katzen sie wahrnahmen, schien auch diesem Vogel ein Blick in die Geisterwelt zu gelingen.
Wer bist du?, fragte sie. Warum kannst du sprechen?
Der Rabe kicherte leise. So, so! Du hast ihn einfach verrecken lassen, deinen Gatten? Das war aber ganz und gar nicht schön und edel und moralisch, nicht wahr, kleine Lady?
Kleine Lady!
Caroline zerstob zu Nebel und Glassplittern, fügte sich zusammen und schoss zu dem Baum hin. Regus!, zischte sie. Du verdammtes Monster! In welcher Form zeigst du dich nun schon wieder? Was suchst du hier?
Der Rabe kicherte noch immer. Diesmal aber verhaltener. Er klapperte mit dem Schnabel und zuckte mit den Flügeln, als friere er.
Dein Liebster überschreitet soeben die Brücke. Er wird in wenigen Minuten mein Bruder sein. Nur die verdammten haitianischen Götter wissen, warum diese Vettel ihm das antut. Er säuft ihr Blut und glaube mir – beide, Ludwig und die Priesterin befinden sich schon jetzt in absoluter Lebensgefahr. Sein Durst wird rasend sein. Seine Hemmungen sind davongeflogen wie ...
Er kreischte!
... wie ein Rabe in der Nacht. Ja, in einigen Minuten wird er vergessen haben, dass es dich jemals gegeben hat und wenn er sich an dich erinnert, junge Lady, wirst du ein schaler Traum sein, nicht mehr. Ich kenne diesen Voodoo-Krimskrams nicht, aber in diesem Fall begeht unsere schwarze Dicke einen riesigen Fehler.
Tue es nicht!, schrie Caroline und wehte zu Frederic hinab, während der Regus-Rabe meckerte und mit den Flügeln zuckte. Seine roten Augen blitzten höhnisch.
Frederic hockte auf den Knien, die Kalebasse krampfhaft umklammert. Vor seinen Augen wogte es und Lichter explodierten.
»Was spürst du, Vampir?«, stieß die Voodoo-Priesterin hervor.
»Eine ... eine Gegenwart, einen Lufthauch, einen Duft ...«, stöhnte er.
»Trinke mehr«, befahl sie. »TRINK!«
Ludwig sprang dazwischen. »Was geschieht mit ihm, wenn er das Blut getrunken hat?
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