Blutlinie
Rafael.
Maggie …schon wieder dieser Name.
Mir fiel ein, dass ich bei meiner angeblichen Familie noch gar keine Hinweise gesehen hatte, dass sie wirklich Blutsauger waren. Mein Blick heftete sich auf Rafaels Mund, der amüsiert zuckte.
„Willst du sie sehen?“
Ich nickte atemlos.
Er öffnete ganz langsam seine Lippen, zog die obere so weit hinauf, sodass ich die Zahnreihe sehen konnte. In Zeitlupe verlängerten sich die Spitzen, wurden zu Fängen, genau so, wie ich es schon hundert Mal im Kino gesehen hatte. Rafaels Gesicht wirkte deutlich gefährlicher. Ich schlug die Hand auf den Mund. Einfach nur unfassbar!
„Und?“
„Ich muss das alles erst einmal verdauen“, sagte ich tonlos, woraufhin er nickte.
Ich verlor mich in Gedanken, ließ alles Revue passieren. Welch ein Tag, welch Informationen! Ich konnte es einfach nicht glauben, und doch war es, als wäre mein Durst gestillt. Als hätte ich endlich die Genugtuung erhalten, dass ich mich die ganze Zeit nicht geirrt hatte.
Am 15. November war mein Geburtstag. Und ich würde 20 werden, das hoffte ich jedenfalls. Aber diesmal freute ich mich nicht auf dieses Datum, weil das der Tag war, an dem ich vielleicht nicht mehr ich sein würde.
7. Maggies Geschichte
Mom lag neben mir im Bett. Ich sah sie die ganze Zeit an, während draußen stürmisch der Abend hereinbrach. Wir waren in stiller Übereinkunft in mein Zimmer gegangen und hatten uns hingelegt.
So viel war heute geschehen und ich konnte es bei Weitem nicht realisieren. Würde ich mich morgen mit meinem Schicksal besser abfinden? Wohl kaum. Wer würde das schon? All die Filme, die ich jemals gesehen hatte, von Nosferatu bis Twilight , erwiesen sich also als wahr. Naja, mehr oder weniger.
Mein Vater war unterdessen beim Rat, besprach neue Blutlieferungen. Würg! So etwas hätte ich meinen Eltern niemals zugetraut, im Leben nicht. Klammheimlich handelten sie mit dem kostbaren Lebenssaft, verdienten so ein hübsches Sümmchen nebenbei und waren dazu noch die besten Freunde der Blutsauger. Daher hatten sie also das Geld, um mir damals das Geschäft zu kaufen, obwohl ich mir auch mittlerweile sicher war, dass der Rat den Erwerb mitfinanziert hatte.
Und das hatte Brandon mit dem Geschäft gemeint, als ich neben ihm im Wagen gesessen hatte. Ich musste ihm widersprechen, Langweiler waren die beiden sicher nicht.
„Woran denkst du?“, fragte meine Mutter in meine Grübeleien hinein.
„Ich versuche gerade alles ein wenig zu ordnen.“
„Manchmal denke ich, wir hätten dir viel erspart, wenn du von vornherein unter diesem Dach gelebt hättest. Dann wäre jetzt nicht so viel auf dich eingestürzt.“
Sie drehte sich auf den Rücken, legte eine Hand unter ihren Kopf und schaute nachdenklich zur Decke.
„Ihr habt nur den Wunsch von Lana und John akzeptiert und meintet es nur gut“, wandte ich ein.
Sie lächelte schwach.
„Ich glaube auch, dass es richtig war. Du wärest sicher zu einer ganz anderen jungen Frau herangewachsen, die sich täglich mit ihrem Schicksal auseinandergesetzt hätte, wenn du hier gelebt hättest. Nach diesem Vorfall vor zwei Jahren wäre es dennoch besser gewesen. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Ängste wir ausgestanden haben, ob dir auch nichts passieren würde. Zuerst hattest du einen ziemlich alten Vampir als Aufpasser, der aber nach einem Jahr abgezogen und durch Brandon ersetzt wurde.“
„Weißt du, wieso?“
„Er hatte wohl einen anderen Auftrag bekommen, mehr weiß ich nicht.“
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich die ganze Zeit nichts bemerkt habe, nicht einmal, als ich Kind war.“
Meine Mutter sah mich an.
„Oh doch, du hast etwas mitbekommen, von Zeit zu Zeit jedenfalls. Einmal hast du mich gefragt, da musst du acht gewesen sein, warum der alte Mann immer so traurig schaut. Wir waren auf dem Rummel und hypernervös, weil wir nie wussten, ob nicht doch so ein Dunkler dort herumschlich und auf den richtigen Augenblick wartete. Und ich fragte dich: ‚Wen meinst du, Schatz?’ Und du zeigtest auf eine Stelle, doch da stand niemand. ‚Er ist weg, Mommy, aber ich habe ihn schon mal gesehen.’“
„Das habe ich gesagt?“
„Ja, du warst sehr aufmerksam.“
Nicht aufmerksam genug , dachte ich, während ich Brandon in meinem Schlafzimmer vor meinem geistigen Auge sah.
„Manchmal kam ich mir tatsächlich beobachtet vor“, gab ich zu. „Außerdem sind wir niemals in Urlaub gefahren, weil ihr soviel gearbeitet habt.“
„Wir durften
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