Blutmond der Templer
Weg, daß bald etwas geschehen wird. Wenn der Blutmond seine Kraft verbreitet, werden die alten Mächte geweckt. Das Meer hat vieles verschlungen, es wird aber einiges wieder hergeben, davon bin ich überzeugt.«
»Und was?«
»Wir müssen uns auf fürchterliche Dinge einstellen. Als unsere Templervorfahren die Insel besuchten, da haben sie es gewußt und gespürt. Sie kannten das Rätsel des Urvolks.«
»Du nicht mehr?«
»Nein, ich bin zu schwach, leider, und trotz meines Würfels. Der Blutmond ist erschienen. Niemand wird seine Strahlung stoppen können. Er ist einfach zu mächtig. Was längst in Vergessenheit geriet, kann wieder hochkommen. Die alten Templer wußten mehr. Deshalb habe ich mich zu einer Tat entschlossen, die euch möglicherweise ungewöhnlich erscheinen wird. Sie ist auch ungewöhnlich, das gebe ich zu. Einer von euch möge aufstehen und die Decke zur Seite schlagen, die in meiner Koje liegt.«
Suko und ich schauten uns an.
»Du?« fragte Suko.
»Okay.« Ich erhob mich. Bis zur Koje brauchte ich nicht einmal zwei Schritte.
Glatt wie gestrichen lag die Decke über einem Gegenstand, der sich unter dem Laken nicht einmal abmalte. Mit einer heftigen Bewegung zog ich die Decke zur Seite — und erstarrte.
Vor mir lag ein silbernes Skelett!
***
Damit hatte ich nicht gerechnet!
In den folgenden Sekunden war ich sprachlos. Meine Kehle saß zu, ich bekam kein Wort hervor und vernahm das Räuspern des Abbés wie aus weiter Ferne.
»Du hast es gesehen?« fragte er.
»Ja, es ist…«
»Hector de Valois, dein Ahnherr und derjenige, der in dir wiedergeboren wurde.«
Da hatte der Abbé die volle Wahrheit gesprochen. Mir schössen derweil Tausende von Gedanken durch den Kopf, wobei es mir nicht gelang, sie zu ordnen.
Eine Frage jedoch kristallisierte sich immer deutlicher hervor. Weshalb hatte er das Skelett mitgenommen? Normalerweise lag es in der Kathedrale der Angst eingebettet in einem steinernen Sarkophag. Jetzt befand es sich auf dem Schiff. Der Abbé mußte schon sehr triftige Gründe für einen Transport gehabt haben.
Suko war ebenfalls aufgestanden. Er stellte sich neben mich, ich hörte ihn schwer atmen. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte und ihn anschaute, erkannte ich auch bei ihm das Erstaunen auf dem Gesicht. Mein Freund konnte sich keinen Reim darauf machen.
»Der Anblick wirft viele Fragen auf, nicht wahr?« sprach der alte Abbé weiter.
»Das kannst du wohl sagen.«
»Ich werde es euch erklären.« Erholte tief Luft, bevor er weitersprach.
»Es gibt Momente im Leben eines Menschen, in denen sich die Gefahr zusammenballt. Wir stehen vor einem dieser Augenblicke, und deshalb müssen wir mit allem kämpfen, was wir besitzen. Hector de Valois hat diese Insel kurz besucht, auch er muß von den Ureinwohnern erfahren haben. Nun ist er zurückgekehrt, als das silberne Skelett, aber nicht nur er kam zurück, du bist auch hier, John Sinclair, so daß wir mit doppelter Kraft uns dem Blutmond entgegenstemmen können.«
»Du meinst, Abbé, daß ich zusammen mit dem silbernen Skelett den Kampf aufnehmen soll?«
»Ja!«
Ich wischte über meine Stirn, auf der sich Schweiß gebildet hatte. Danach glitt mein Blick wieder auf das Bett, wo das silberne Skelett des Hector de Valois' auf dem Rücken lag.
Immer wenn ich es anschaute, überkam mich so etwas wie Ehrfurcht und ein heiliger Schauer. Ich wurde daran erinnert, daß ich schon einmal gelebt hatte, als Hector de Volois und viel früher noch als Richard Löwenherz. Ob ich König Salomo gewesen war, stand nicht ganz fest, aber als Barbar hatte ich ebenfalls in grauer Vorzeit existiert. Das Skelett bewegte sich nicht. Seine knöchernen Silberfinger hielt es gefaltet, allerdings so, daß das alte englische Templersiege!, das ich in einem alten Brunnenschacht in Jugoslawien gefunden hatte, zwischen den Händen Platz bekam.
Die untere Hälfte des Steinsiegels zeigte den englischen Löwen, eine Verbeugung vor Richard Löwenherz, dem furchtlosen Kämpfer. Über dem Raubtier mit dem gebogenenen Schwanz lag ein Halbmond. Er war fest verbunden mit der Unterseite eines Kreuzes und umgeben von zahlreichen Sternen. Bei den Templern war es das Sinnbild für die Gottesmutter Maria.
Ich wußte auch, daß dieses eingravierte Kreuz die gleichen Zeichen aufwies wie mein eigenes, nur die geheimnisvollen Symbole in der Mitte fehlten bei mir. Auf dem Kreuz des Siegels waren sie noch vorhanden und gut zu erkennen. Das Siegel gehörte zu Hector de
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