Blutmond der Templer
frage mich nur, ob dies auch bei anderen Personen der Fall ist. Zigtausende müßten die Veränderung erkennen und entsprechend reagieren.«
»Vielleicht sehen sie ihn auch so.«
»In London ebenfalls? Es ist der gleiche Mond, John.«
Da hatte Suko recht. »Worauf willst du hinaus?«
»Ganz einfach. Ich kann mir gut vorstellen, daß nur wir ihn in dieser Farbe leuchten sehen. Sie konzentriert sich eben auf ein bestimmtes Gebiet, das unter einer magischen Aura liegt.« Er sah mich an. »Oder trete ich sehr daneben?«
»Dasglaube ich nicht.« Mein Blick glitt zur Brücke am Heck des Schiffes. Sie war nicht sehr hoch, hatte aber einen frischen Anstrich bekommen und glänzte in einem strahlenden Weiß.
»Willst du mit dem Kapitän reden?«
»Das hatte ich vor. Vielleicht ist ihm etwas aufgefallen, was eine Veränderung des Wassers angeht. Du weißt selbst, daß der Abbé die Gefahr auch aus der Tiefe erwartet.«
Wir brauchten nicht erst hoch zur Brücke zu laufen, denn der Kapitän, er hieß Duval und stammte aus Marseilles, kam uns entgegen. Seine Jacke hatte er ausgezogen, trug nur das weiße Hemd und die ebenfalls weiße Hose. Ein braungebrannter Mann mit dunklen Haaren und einem kühn geschnittenen Gesicht, ein Frauentyp.
»Zu Ihnen wollten wir, Monsieur Duval.«
Er blieb stehen. »Hatten Sie vor, die Brücke zu besichtigen?«
»Das eigentlich nicht. Wir wollten uns mit Ihnen unterhalten.«
»Bitte. Hier?«
»Das wäre uns lieb, die Luft ist besser als unter Deck.« Wir gingen einige Schritte, stellten uns so an die Reling und schauten hinaus aufs Meer.
»So, jetzt raus mit der Sprache«, forderte er.
»Ihnen ist nicht zufällig in letzter Zeit etwas aufgefallen. Ich meine, seit der Mond am Himmel steht.«
»Der Mond?« Duval lächelte etwas verkrampft.
»Ja!« Suko nickte noch.
»Was sollte mir denn aufgefallen sein?«
»Seine Farbe.«
Duval schaute zum Erdtrabanten und nickte dann. »Sie haben recht. Ich sah ihn selten so klar und scharf geschnitten. Er ist schon etwas ganz Besonderes. Was seine Farbe angeht, so muß ich sagen, daß mir die Blässe etwas…«
»Moment mal, Monsieur Duval«, unterbrach ich ihn ungeduldig. »In welch einer Farbe sehen Sie ihn denn?«
Der Kapitän trat einen Schritt zur Seite. Er blickte mich an, als wäre ich ihm als Geist erschienen. »In gelb natürlich. Ich sehe den verdammten Mond in einem blassen Gelb…«
Das war es!
Genau das war der springende Punkt, der Hammer, der Klopfer, wie auch immer.
Er sah ihn in seiner normalen Farbe, nur Suko ich und möglicherweise die Templer sahen ihn in einem blutigen Kot.
Weshalb?
Duval tippte mich an. »He, Sinclair, kommen Sie zu sich! Was haben Sie denn? Sie sehen aus, als wäre Ihnen etwas Furchtbares passiert. Was ist denn los?«
»Eigentlich nichts«, erwiderte Suko an meiner Stelle. »Es ist schon gut. Wir wollten nur testen, ob Sie nicht farbenblind sind, Käpt'n. Fine schöne Nacht wünsche ich Ihnen noch.«
Duval verschwand kopfschüttelnd. Wahrscheinlich hielt ihn die Höflichkeit davon ab, uns mit einem beleidigenden Kommentar zu verabschieden. Wir warteten, bis er außer Hörweite war, dann sagte Suko leise zu mir: »Ersieht ihn in Gelb.«
»Und wir in Kot.«
»Weshalb, John?«
»Keine Ahnung.«
»Ich würde an deiner Stelle nachdenken.«
»Mach ich auch. Nur ist es schwer für mich, zu einem Ergebnis zu gelangen. Das ist mir zu hoch. Ein normaler Mensch sieht den Blutmond der Templer also nicht.«
»So ist es. Ich kann mir nur denken, da wir ihn deshalb in dieser Farbe sehen, weil wir in einem unmittelbaren Zusammenhang zu ihm stehen. Wenn du etwas Besseres weißt, sag es.«
Ich hob die Schultern. »Tut mir leid. Im Augenblick habe ich einen Riß…« Ich schaute wieder auf den Mond, sah ihn, rot, rund und prall…
»Der Abbé hat genau gewußt, weshalb er uns Bescheid gab«, flüsterte Suko.
»Er hat auch das Skelett mitgenommen, meinen Ahnherrn. Das darfst du nicht vergessen.«
»Eben, John. Wir alle sind untrennbar mit einem gewissen Schicksal verbunden.«
»Hat das auch einen Namen?«
»Klar doch. Die Templer. Unter dem Blutmond werden sie wieder erwachen.« Suko deutete in die Höhe. »Er leuchtet da wie ein rotes Auge. Ich sage dir, John, daß wir uns bald auf einiges gefaßt machen können.«
»Bloch sprach von einer Gefahr, die aus dem Meer kommen könnte.«
Ich zeichnete mit der Hand einen Halbkreis über die Reling hinweg.
»Dann hätten wir ruhig La Valletta anlaufen
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt