Blutmusik
müßten?
Unzweifelhaft.
So verwirrend.
Bernard schwankte zwischen Schlaf und Alptraum, prallte hart auf
der Seite des Alptraums auf und hob sich beim nächsten
Ausschwingen in eine Art Ekstase.
Nichts wird jemals wieder sein, wie es war.
Gut! Großartig! War es nicht ohnedies alles schlimm
verpfuscht gewesen?
Nein, vielleicht nicht. Erst jetzt.
O Herr, es treibt mich zum Gebet. Ich bin schwach und
unfähig, diese Urteile zu fällen. Ich glaube nicht an dich,
nicht in einer Form, wie man sie mir beschrieben hat, aber ich
muß beten, weil ich in Furcht bin, in unheiliger Angst.
Was haben wir geboren?
Bernard blickte auf seine Hände und Arme herab, die
angeschwollen waren, und bedeckt mit weißen Schwielen.
So häßlich, dachte er.
42
Die Nahrung erschien auf einem hüfthohen, schwammig
aussehenden grauen Zylinder am Ende einer von hohen Wänden
eingeschlossenen Sackgasse. Suzy blickte auf das Essen, streckte die
Hand aus, das allem Anschein nach gebratene Hühnchen zu
berühren, und zog den Finger langsam zurück. Das Essen war
warm, die Tasse Kaffee dampfte, und alles sah völlig normal aus.
Nicht ein einziges Mal war ihr etwas serviert worden, was sie nicht
mochte, und nicht ein einziges Mal hatte es zuviel gegeben, oder
zuwenig. Sie beobachteten sie aufmerksam und vergaßen keines
ihrer Bedürfnisse. Sie wurde umsorgt wie ein Tier in einem Zoo,
wenigstens kam sie sich so vor.
Sie kniete nieder und begann zu essen. Danach setzte sie sich mit
dem Rücken an den Zylinder, trank den Rest des Kaffees und
schlug sich den Kragen hoch. Es wurde kälter. Sie hatte die
warme Jacke ihres Bruders im World Trade Center zurückgelassen
– oder was daraus geworden war –, und während der
vergangenen zwei Wochen hatte sie kein Bedürfnis danach
verspürt. Die Lufttemperatur war immer angenehm gewesen, sogar
bei Nacht.
Alles veränderte sich, und das war beunruhigend – oder
aufregend. Sie war nicht sicher, was.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte Suzy McKenzie sich viel
gelangweilt. Sie war nie besonders phantasievoll gewesen, und die
Teile des umgewandelten Manhattan, die sie durchwandert hatte, waren
nicht nach ihrem Geschmack gewesen. Die großen Kanalrohre, die
grüne Flüssigkeit vom Fluß ins Innere der Insel
pumpten, die träge wedelnden Fächerbäume, die
Flächen glasig-silbriger Buckel, die Sammlungen von
Straßenreflektoren, ausgebreitet über Hunderte von Morgen
unregelmäßiger Oberfläche – nichts von alledem
hatte sie länger als ein paar Minuten interessiert. Diese Dinge
standen in keiner Beziehung zu ihr. Suzy verstand nichts von ihnen
und ihren Funktionen.
Sie wußte, daß es alles faszinierend sein sollte, aber
es war nicht von Menschen für Menschen, und es war auch nicht
Natur im überkommenen, angenehm entspannenden Sinn, und so lag
ihr nicht viel daran.
Menschen interessierten sie; was sie dachten und taten, wer sie
waren, wie sie sich zu ihr verhielten, und wie sie über sie
dachten.
»Ich hasse euch«, sagte sie zu dem Zylinder, als sie
Teller und Tasse auf seine Oberfläche stellte. Der Zylinder
schluckte sie und versank im Boden. »Euch alle!« schrie sie
die Wände der Sackgasse an. Sie umfaßte die Oberarme mit
den Händen, um sich warmzuhalten, dann fiel ihr ein, daß
es bald dunkel sein würde; sie brauchte eine Schlafgelegenheit.
Sie hob Taschenlampe und Radio auf. Die Batterien wurden bereits
schwächer, obwohl sie das Radio immer nur für kurze Zeit
eingeschaltet hatte. Sie verließ die Sackgasse und starrte in
einen Wald von Fächerbäumen, der einen steilen rotbraunen
Hügel überwuchert hatte.
Auf der Kuppe der Anhöhe befand sich ein schwarzer Polyeder,
dessen Facetten jeweils eine knapp meterlange silbrige Nadel trugen.
Auf der Insel gab es viele ähnliche Gebilde. Sie achtete kaum
noch darauf. Das Umwandern des Hügels dauerte ungefähr zehn
Minuten. Sie kam in ein flaches Tal von der Länge eines
Fußballplatzes, umsäumt von sanft gebogenen schwarzen
Röhren, deren Durchmesser ungefähr ihrer Taillenweite
gleichkam. Die Rohre verschwanden in einer Grube am Ende des Tales.
Sie hatte des öfteren an solchen Kreuzungspunkten geschlafen.
Sie ging zum Ende des Tales und kniete in der Mulde nieder,
befühlte die Oberfläche mit beiden Händen; sie war
ganz warm. Hier konnte sie die Nacht unter den Rohren liegend
einigermaßen bequem verbringen.
Im Westen überhauchte prupurner Schein den Himmel. Die
Sonnenuntergänge waren gewöhnlich orangefarben und
Weitere Kostenlose Bücher