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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Fehlentwicklung, und er dachte dabei nicht bloß an
Amokläufer oder Axtmörder. Er dachte an Politiker, die zu
gierig oder blind waren, um zu wissen, was sie taten,
Wirtschaftsverbrecher, die Tausende von Anlegern um ihre Ersparnisse
gebracht hatten, Eltern, die zu dumm waren, um zu wissen, daß
man seine Kinder nicht mißhandeln und zu Tode prügeln
sollte. Was wurde aus diesen Leuten und den Millionen von
krankhaften, kriminellen und antisozialen Elementen in der
menschlichen Gesellschaft?
    Waren alle unterschiedslos millionenfach dupliziert, oder
ließen sich die Noozyten in ihrem Handeln von etwas
Überlegung und Urteilsvermögen leiten? Tilgten sie in aller
Stille eine Anzahl Persönlichkeiten, oder veränderten sie
sie?
    Aber wenn die Noozyten sich die Freiheit nahmen, die wirklich
gefährlichen und gemeinschaftsschädlichen Elemente
auszuschalten, sei es durch Veränderung, sei es durch irgendeine
Form von Fixierung oder Lähmung, mußten sie zuvor in ihre
Denkprozesse eingedrungen sein und einen allgemeinen Konsens
rechtschaffenen Denkens als Maßstab eingeführt
haben…
    Wer konnte dann sagen, daß sie nicht auch andere
veränderten, Menschen mit geringeren Problemen, Leute mit all
den Komplexen kleiner Verschrobenheiten und Irrtümer und
zeitweiliger Bosheit – Eigenschaften, von denen niemand frei
war? Berufsrisiken des Menschseins, des Lebens in einer harten Welt,
einer anderen als jener, die die Noozyten bewohnten? Wenn sie
wirklich korrigierten und eliminierten und veränderten, wer
konnte sagen, wie gut oder schlecht sie darin waren? Wer konnte
sagen, daß sie wußten, was sie taten, und hinterher
arbeitsfähige menschliche Persönlichkeiten behielten?
    Was taten die Noozyten mit Menschen, die der Veränderung
nicht standhielten, die verrückt wurden – oder die, wie
angedeutet worden war, unvollkommen assimiliert starben und
Teilerinnerungen zurückließen, wie Vergils
Teilerinnerungen in Bernards eigenem Körper? Wurde auch hier
gejätet und ausgelesen?
    Gab es in der Noosphäre Politik, gesellschaftliche
Wechselwirkungen? Hatten Menschen gleiches Stimmrecht wie Noozyten?
Menschen waren natürlich Noozyten geworden – aber waren die
echten, die ursprünglichen Noozyten mehr oder weniger hoch
angesehen?
    War mit Konflikten, mit Revolution zu rechnen?
    Oder würde tiefe Stille herrschen, die Ruhe des Grabes, weil
der Wille zum Widerstand ausgelöscht war? Für eine strenge
Hierarchie war der freie Wille keine wichtige Sache. War die
Noosphäre eine strenge Hierarchie, in der es an abweichenden
Meinungen oder selbst Kommentaren fehlte?
    Er hatte nicht den Eindruck.
    Aber wie konnte er Gewißheit erlangen?
    Respektierten und liebten sie die Menschen wirklich als Herren und
Schöpfer, oder saugten sie sie einfach ein, verdauten die
benötigten Informationen und ließen den Rest verrotten,
desorganisiert und tot?
    War dies alles nur die Furcht vor der großen
Veränderung? Die Furcht vor dem völlig Andersartigen, sei
es himmlisch oder höllisch, im Gegensatz zu dem schwierigen,
oftmals höllischen, aber bekannten Status quo?
    Es war kaum anzunehmen, daß Vergil Ulam diese Fragen jemals
durchdacht hatte. Vielleicht hatte es ihm an der nötigen Zeit
gefehlt, doch selbst wenn ihm die Zeit dafür geblieben war,
hatte es einfach nicht Vergil Ulams Wesensart entsprochen, solche
Dinge gründlich zu durchdenken. Hervorragend in der
wissenschaftlichen Arbeit und ihrer schöpferischen Umsetzung,
verantwortungslos und schlampig in der Einschätzung der
Folgen.
    Galt das nicht für jeden Schöpfer?
    Führte nicht jeder große Veränderer letzten Endes
einige Menschen – vielleicht sehr viele Menschen – in
Kummer, Qual und Tod?
    Die armen menschlichen Prometheuse, die ihren Mitmenschen das
Feuer brachten.
    Edel.
    Einstein. Der arme Einstein und sein Brief an Roosevelt: ›Ich
habe die Dämonen der Hölle losgelassen, und nun müssen
Sie einen Pakt mit dem Teufel unterschreiben, oder ein anderer wird
es tun. Jemand, der noch schlimmer ist.‹ Curie, die mit Radium
experimentierte; wie verantwortlich war sie für alle
nichtsahnenden Opfer radioaktiver Strahlung, bis hin zu Slotin, mehr
als vier Jahrzehnte später?
    Hatten Pasteurs oder Salks Arbeiten, oder seine eigene, was das
anging, Männern oder Frauen das Leben gerettet, die
schließlich Unheil anrichteten, sozialschädlich wurden
oder durchdrehten? Unzweifelhaft.
    Und dachten die Opfer jemals, daß die Urheber vor Gericht
gezerrt werden

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