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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wenn sie deine eigenen
sind?«
    »Merkst du eine Veränderung?«
    Sie musterte ihn. »Du bist nicht so blaß, und du
trägst Kontaktlinsen.«
    »Ich trage keine Kontaktlinsen.«
    »Dann hast du vielleicht deine Gewohnheiten geändert und
liest nicht mehr im Dunkeln.« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe dein Interesse an all diesem Unsinn nie
verstanden.«
    Vergil starrte sie verblüfft an. »Es ist
faszinierend«, sagte er. »Und wenn du nicht sehen kannst,
wie wichtig es ist, dann…«
    »Werde nicht schnippisch über meine speziellen
Blindheiten. Ich gestehe sie ein, aber ich denke nicht daran, mir
irgend etwas anzutun, um sie zu ändern. Nicht, wenn ich die Welt
in dem Zustand sehe, in dem sie heutzutage ist, weil Leute mit deinen
intellektuellen Neigungen sie dahin gebracht haben. Wahrhaftig, jeden
Tag erfinden die da drüben in den Laboratorien neue
Weltuntergangswaffen!«
    »Du darfst die meisten Wissenschaftler nicht nach mir
beurteilen, Mutter. Ich bin nicht typisch. Ich bin ein
wenig…« Er konnte das Wort nicht finden und grinste. Sie
beantwortete das Grinsen mit dem knappen Lächeln, das er nie
hatte deuten können.
    »Verrückter«, sagte sie.
    »Unorthodoxer«, verbesserte er sie.
    »Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst, Vergil. Was
für Zellen sind das? Bloß Teile deines Blutes, an denen du
gearbeitet hast?«
    »Sie können denken, Mutter.«
    Wieder reagierte seine durch nichts zu erschütternde Mutter
in keiner vorhersehbaren Weise. »Gemeinsam – ich meine,
alle miteinander, oder jede für sich?«
    »Jede für sich. Aber in den letzten Experimenten neigten
sie zu Zusammenschlüssen.«
    »Sind sie freundlich?«
    Vergil verdrehte die Augen zur Decke. »Es sind Lymphozyten,
Mutter. Sie leben nicht einmal in derselben Welt wie wir. Sie
können nicht freundlich oder unfreundlich in der Weise sein, wie
wir die Begriffe verstehen. Für sie besteht die Welt aus
Chemikalien.«
    »Wenn sie denken können, können sie etwas
fühlen, wenn meine Lebenserfahrung etwas taugt. Es sei denn, sie
wären wie Frank. Natürlich dachte er nicht viel, also hinkt
der Vergleich.«
    »Ich hatte nicht die Zeit, herauszufinden, wie sie sind, oder
ob sie so viel Denkfähigkeit entwickeln wie… wie ihr
Potential es erlaubt.«
    »Was ist ihr Potential?«
    »Bist du sicher, daß du das verstehst?«
    »Hört es sich so an, als ob ich es
verstünde?«
    »Ja. Darum zweifle ich. Ich weiß nicht, was ihr
Potential ist, aber es ist sehr groß.«
    »Vergil, dein Wahnsinn hat immer Methode gehabt. Was hofftest
du mit alledem zu gewinnen?«
    Das stoppte ihn. Er sah keine Hoffnung, sich auf dieser Ebene
– der Ebene von Errungenschaften und Zielen – mit seiner
Mutter zu verständigen. Sie hatte sein Bedürfnis, etwas zu
leisten, nie verstanden. Für sie erschöpften sich Ziele
darin, daß man sich bemühte, mit den Nachbarn in Frieden
zu leben. »Ich weiß nicht. Vielleicht nichts. Vergiß
es!«
    »Es ist vergessen. Wo wollen wir heute abend essen?«
    »Laß uns marokkanisch essen«, sagte Vergil.
    »Also auf zum Bauchtanz!«
     
    Von alledem, was er an seiner Mutter nicht verstand, war sein
früheres Kinderzimmer der Gipfel. Spielzeug, Bett und
Möbel, Poster an den Wänden – sein Zimmer war nicht in
dem Zustand geblieben, in dem es sich befunden hatte, als er
ausgezogen war, sondern in den Zustand zurückversetzt worden, in
welchem es ihn als Zwölfjährigen beherbergt hatte. Die
Bücher, die er damals gelesen hatte, waren aus den Kartons auf
dem Speicher genommen worden und standen aufgereiht in Regalen des
schmalen Bücherschranks, der einst ausgereicht hatte, seine
Bibliothek aufzunehmen. Taschenbücher und Buchklubausgaben
konkurrierten mit Comicheften und ein paar Büchern über
Wissenschaften und Elektronik, die ihm damals viel bedeutet
hatten.
    Filmplakate – inzwischen unzweifelhaft sehr wertvoll –
zeigten die jugendlichen Gesichter inzwischen angejahrter oder gar
verblichener Schauspieler. Er hatte diese Plakate mit Neunzehn
abgenommen, zusammengelegt und in einer Schublade verstaut. April
hatte sie wieder an den Wänden befestigt, nachdem er sein
Studium begonnen hatte.
    Sie hatte sogar sein kariertes Bettzeug wiederbelebt. Das Bett
selbst war abgenutzt und vertraut, lockte ihn in eine Kindheit, von
der er nicht einmal sicher war, ob er sie je gehabt, geschweige denn,
zurückgelassen hatte.
    Er erinnerte sich seiner vorpubertären Jahre als einer Zeit
beträchtlicher Ängste und Sorgen. Ängsten, daß
er für

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