Blutnacht
vermutlich nähern würde.
Stephanie kaufte sich eine warme Brezel mit Senf und ein Getränk in einem Becher von einem Mann mit Handkarren, setzte sich auf eine Bank und begann zu essen.
Mampfte vor sich hin und warf den Tauben Krumen zu.
Schlug diese langen Beine übereinander.
Als sie die Brezel fast aufgegessen und ihren Becher geleert hatte, stand sie auf, kaufte sich ein Eis von einem anderen Karren und setzte sich wieder an denselben Fleck.
Kein einziger Blick auf die Uhr.
Fünfzehn Minuten vergingen, und sie sah kein bisschen ungeduldig aus.
Weitere fünf. Sie gähnte, streckte sich und schaute in die Sonne.
Sie nahm die Brille wieder ab. Ließ ihr Gesicht Mittagshitze tanken.
Mit geschlossenen Augen. Ausspannen.
Auf niemanden warten.
Milo überquerte den Platz, machte einen langen, großen Bogen und näherte sich ihr von hinten. Sie würde ihn erst sehen, wenn er bereit war.
Sein Abzeichen lag in seiner Hand, von seinen Fingern verborgen. Sie würde mit Sicherheit aufschrecken angesichts eines großen Mannes, der auf sie zuhielt, und er hoffte, der Ausweis würde sie von ihm ablenken und so verhindern, dass es zu einer Szene kam.
Sie hörte ihn nicht kommen und schaute nicht hoch, öffnete ihre Augen erst, als er um die Bank herumgegangen war und beinahe vor ihr stand.
Dunkle, überraschte Augen. Er sah daran vorbei auf die Schwellung an ihrem linken Wangenknochen. Sie hatte ihr Make-up gut eingesetzt und die purpurne Verfärbung fast abgedeckt, aber ein bisschen schaute noch hindurch – ein rosiger Fleck, der die sanfte Bräune ihres Teints vertiefte. Die gesamte linke Seite ihres Gesichts war vergrößert. Mit Kosmetik bekam man keinen Bluterguss unter Kontrolle.
Das Abzeichen machte ihr Angst, und er steckte es in die Tasche. »Tut mir Leid, Sie zu stören, Ma’am. Besonders heute.«
»Ich verstehe nicht«, sagte sie mit leiser Stimme. »Heute?«
Er setzte sich neben sie und sagte seinen Titel auf, betonte all die Reizwörter. Lieutenant. Polizei. Morddezernat.
Das trug nicht dazu bei, Stephanies Angst zu mindern, aber es brachte ihre Besorgnis auf den Punkt.
»Es geht um Julie, stimmt’s?«, sagte sie. Ihre Lippen zitterten. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
»Was kann nicht mein Ernst sein, Ms. …«
»Cranner. Stephanie Cranner. Ev hat mir erzählt, dass Sie ihm eine Menge Fragen über Julie gestellt haben. Dass Sie ihn wahrscheinlich verdächtigen, weil er ihr Exmann war.« Ihre Hand hob sich zu der verfärbten Wange, blieb einen Moment in der Luft hängen und fiel dann in ihren Schoß. »Das ist lächerlich.«
»Er hat Ihnen erzählt, dass wir ihn verdächtigen?«, fragte Milo.
»Es stimmt, nicht wahr?«, erwiderte Stephanie Cranner. Angenehme Stimme – jugendlich, beschwingt, aber angespannt vor Sorge. Alles an ihr strahlte Jugend und Gesundheit aus. Bis auf den Bluterguss.
»Hat Mr. Kipper das getan?«
Die braunen Augen senkten sich. »Ich möchte nicht viel Aufhebens davon machen. Es hat nichts mit Julie zu tun – jedenfalls nichts mit ihrer Ermordung.«
Milo sank in sich zusammen, machte sich so klein wie möglich, um keine Bedrohung darzustellen.
Stephanie Cranner richtete sich auf. »Ich muss zurück ins Büro.«
»Sie sind gerade erst hier angekommen«, sagte Milo. »Normalerweise dauert Ihre Mittagspause vierzig Minuten.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Sie haben mich beobachtet?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Das ist ungeheuerlich«, sagte sie. »Ich habe nichts getan. Ich habe mich nur zufällig in Ev verliebt.« Kurze Pause. »Und er liebt mich.«
Milo schaute auf die geschwollene Wange. »Hat er das zum ersten Mal gemacht?«
»Ja. Absolut.«
»Ach.«
»Es stimmt«, sagte sie. »Absolut das erste Mal. Deswegen will ich kein Aufhebens machen. Bitte.«
»Klar«, sagte Milo.
»Vielen Dank, Lieutenant.«
Er rührte sich nicht vom Fleck.
Sie fragte: »Kann ich jetzt gehen, Lieutenant? Bitte.«
Milo drehte sich herum, schob sich ein bisschen näher, sah ihr in die Augen. »Ms. Cranner, ich habe absolut nicht den Wunsch, Ihr Leben komplizierter zu machen. Ich bin im Morddezernat und kümmere mich nicht um Fälle von häuslicher Gewalt. Obwohl ich Ihnen sagen muss, dass die beiden manchmal miteinander einhergehen.«
Stephanie Cranner starrte ihn mit offenem Mund an. »Das ist unfassbar. Sie wollen sagen …«
»Ich würde mir weniger Sorgen um Ihr Wohlbefinden machen, wenn ich wüsste, was passiert ist.«
»Passiert ist, dass Ev und ich … eine
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