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Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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an Anstrengung brachte ihn selten ins Schwitzen, aber diesmal war er völlig durchnässt – in Vorwegnahme seines Besuchs bei Donald Murphy?
    Blöd, er sollte in der Lage sein, das unter Kontrolle zu bringen. Aber der Körper log nicht.
    Er duschte, zog eine seiner vier Kombinationen aus schwarzem Anzug, weißem Hemd und grauer Krawatte an und fuhr zum Sun Garden Convalescent Home in Mar Vista.
    Das Heim war ein milchkaffeefarbenes zweistöckiges Gebäude, dessen Fenster und Türen dunkelbraun abgesetzt waren. Die Wände der Eingangshalle im Innern waren mit grüner Velourstapete bedeckt. Uralte Leute saßen in Rollstühlen herum.
    Dann: der Krankenhausgeruch.
    Ein Schwindelgefühl überfiel Stahl. Er kämpfte gegen den Drang an, die Flucht zu ergreifen, nahm die starre Haltung eines Rekruten ein, zog mit einem Ruck seine Aufschläge zurecht und ging zum Empfang.
    Die Frau dahinter war eine Filipina mittleren Alters, die einen weißen Kittel über ihrem geblümten Kleid trug. In Saudi-Arabien waren viele Hausangestellte Filipinas gewesen – in Wirklichkeit wenig mehr als Sklaven. Menschen in einer schlechteren Lage als er.
    Das Namensschild dieser hier besagte CORAZON DIAZ, ABTEILUNGSASSISTENTIN.
    Krankenhausjargon für Sekretärin.
    Stahl lächelte sie an, bemühte sich, ganz normal zu erscheinen, und sagte ihr, weshalb er hier war.
    »Polizei?«, fragte sie.
    »Nichts Ernstes, Ma’am. Ich muss nur mit einem Ihrer Patienten sprechen.«
    »Wir nennen sie Gäste.«
    »Der Gast, nach dem ich suche, heißt Donald A. Murphy.«
    »Lassen Sie mich nachsehen.« Computerklicks. »Erstes Obergeschoss.«
    Er fuhr mit einem sehr langsamen Aufzug in den ersten Stock. Weitere Velourswände, aber man konnte dies hier unmöglich für etwas anderes halten, als es war: eine Krankenstation. Ein Schwesternzimmer lag in der Mitte, und ein paar Frauen in roten Uniformen standen herum und plauderten. Dann ein langer Korridor, von dem auf beiden Seiten Türen abgingen. Zwei fahrbare Betten im Gang. Zerknitterte Bettwäsche auf einem.
    Stahl kämpfte darum, aufrecht zu bleiben.
    Auch als er sich den Schwestern näherte, hörten sie nicht auf zu reden. Er wollte sie schon nach Donald Murphys Zimmernummer fragen, als er eine weiße Tafel neben der Tür entdeckte. Namen waren mit blauem Filzstift eingetragen, nicht unähnlich der Liste mit den Fällen auf dem Revier.
    Zweihundertvierzehn.
    Er ging weiter den Gang hinauf, vorbei an Zimmern mit sehr alten Menschen darin, manche in Rollstühlen, andere bettlägerig. Wellen von Fernsehlärm schwappten über ihn hinweg. Das Klick-klick medizinischer Geräte.
    Der Geruch, noch stärker hier oben. Der undefinierbare chemische Gestank vermischt mit Erbrochenem, Fäkalien, Krankenschweiß und einer Fülle anderer Gerüche, die er nicht benennen konnte.
    Seine Haut war feucht geworden, und eine weitere Attacke von Gleichgewichtsstörungen ließ ihn fast zusammenklappen. Er blieb auf halber Strecke im Korridor stehen, presste eine Handfläche gegen die flauschige Tapete, atmete ein, aus, ein, aus. Fühlte sich immer noch schwindlig, aber ein bisschen besser und setzte seinen Weg zu 214 fort.
    Offene Tür. Er ging hinein und schloss sie hinter sich. Der Mann auf dem Bett wurde von Schläuchen versorgt, die in seine Nase und Arme hineinführten. Eine Reihe von Monitoren über seinem Kopfkissen bewies, dass er am Leben war. Ein Katheterschlauch führte unter der Bettdecke hervor zu einer Flasche auf dem Boden, die mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllt war.
    Die Navy sagte, Chief Petty Officer Donald Arthur Murphy (pens.) sei neunundsechzig Jahre alt, aber dieser Typ sah wie hundert aus.
    Stahl überprüfte das Armband des Patienten. D. A. MURPHY, das korrekte Geburtsdatum.
    Mit laut pochendem Herzen drängte er die Angst zurück und musterte den Mann auf dem Bett. Ernas Vater hatte ein verschrumpeltes, dreieckiges Gesicht unter trockenen, ungebärdigen weißen Haaren. Ein paar der Haare wiesen noch Überreste ihrer ursprünglichen Farbe auf: ein schwaches Rotbraun an den Wurzeln. Murphys Hände waren groß und dick und voller Leberflecken. Seine Nase trug die Spuren eines lebenslangen Alkoholmissbrauchs. Sein zahnloser Mund war eingefallen.
    Augen geschlossen. Reglos wie eine Mumie. Keine Atmung, die Stahl erkennen konnte, aber die Monitore wussten es besser.
    Er sagte: »Mr. Murphy?«
    Keine Reaktion von dem Körper auf dem Bett oder den Geräten.
    Die ganze Mühe umsonst. Er stand da und

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