Blutnacht
der Begabten leben. Blutegel am Leib der Kunst. So haben Julie und ich sie genannt. Talent ist ein Fluch. Verbrecher werden von ihresgleichen beurteilt, Künstler nicht.«
Sein glattes, rundes Gesicht war tief gerötet.
Milo sagte: »Also hat Lewis Anthony Julie genötigt, zu produzieren, und das hat ihr Kokainproblem verschärft.«
Kipper nickte. »Sie hat Koks und Speed genommen, um weiterarbeiten zu können, und Schnaps und Beruhigungsmittel, um sich wieder runterzubringen. Wenn ich sie nicht zum Schlafen und Essen gezwungen hätte, hätte sie es nicht getan. Es war die Hölle. Ich fing an, wegzubleiben. Was leicht war, weil ich meinen neuen Beruf hatte. Damit beschäftigt war, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern.«
»Haben Sie Drogen genommen?«
Kipper zögerte. »Nur so nebenbei«, sagte er schließlich. »Das hat damals jeder gemacht. Aber ich wurde nie abhängig. Ich bin keine Suchtpersönlichkeit. Das hat wahrscheinlich etwas mit dem Mangel an Talent zu tun – nicht genug Intensität hier oben.« Er berührte seinen Bürstenschnitt.
»Die alte Verbindung von Genie und Wahnsinn?«, fragte Milo.
»Ich kann Ihnen sagen, das stimmt. Zeigen Sie mir einen brillanten Künstler, und ich zeige Ihnen einen ernsthaften Fall für die Klapsmühle. Und ja, ich schließe Julie da ein. Ich habe sie geliebt, sie war ein wunderbarer Mensch, aber ihr Ruhezustand war der Aufruhr.«
Milo klopfte auf seinen Block. »Erzählen Sie mir mehr von Lewis Anthony.«
»Was gibt’s da zu sagen? Der Scheißkerl setzte Julie unter Druck, Julie warf Drogen ein, bis sie ihr bei den Ohren rauskamen, und produzierte drei Bilder. Anthony beschimpfte sie, verkaufte alle drei, gab Julie ein Almosen und sagte ihr, er könne sie nicht mehr vertreten, es sei denn, sie befleißigte sich einer besseren Arbeitsethik. Sie kam nach Hause, nahm sich eine Überdosis und endete in der Reha.« Kippers Hände öffneten sich und krallten sich in schwarzen Granit. »Ich hatte deswegen immer Schuldgefühle. Weil ich nicht da war, als sie mich brauchte. Als sie mit dem Scheck von Anthony nach Hause kam und ich sah, wie mickrig er war, bin ich durchgedreht – hab einfach die Fassung verloren. Sechs Monate hatte ich zugesehen, wie sie sich kaputtmachte – während der Vorbereitung auf diese Ausstellung verlor sie neun Kilo –, und alles, was sie dafür vorweisen konnte, waren zweitausend Dollar. Ich sagte ihr, sie wäre die größte Idiotin überhaupt, und ging ein Bier trinken. Als ich nach Hause kam, fand ich sie auf dem Bett vor und konnte sie nicht wiederbeleben. Ich dachte, sie wäre tot. Ich hab den Notarzt angerufen, und sie haben sie ins Beth Israel gebracht. Ein paar Tage später wurde sie in die Psychostation im Bellevue verlegt.«
»Unfreiwillige Einweisung?«, fragte ich.
»Während der ersten paar Tage, wie immer das Gesetz lautet. Aber sie blieb länger dort, als sie hätte bleiben müssen. Sie hat zu mir gesagt, es wäre besser, auf der Irrenstation zu sein, als mit jemandem zusammenzuleben, dem man egal ist. Was konnte ich da sagen? Ich hatte sie im Stich gelassen. Bellevue brachte sie wieder in Ordnung und schickte sie nach Hause, und ich versuchte, wieder mit ihr auf einen Nenner zu kommen. Ich hätte genauso gut zu einem Felsbrocken reden können. Sie konnte nicht arbeiten – keine Inspiration –, und das machte sie wahnsinnig. Sie fing wieder an, Drogen zu nehmen, und wir stritten uns deswegen. Schließlich bin ich ausgezogen. Ich habe die Scheidung eingereicht, aber Julie hat keinen Einspruch erhoben – hat absolut nichts unternommen, um sich finanziell abzusichern. Ich habe ihr freiwillig die Hälfte meines damaligen Einkommens als Unterhaltszahlung zur Verfügung gestellt, was sich auf tausend Dollar pro Monat belief. Mein Anwalt hat geglaubt, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Kipper fuhr sich mit der Hand durch den Bürstenschnitt. »Als meine Situation sich verbesserte, habe ich sie erhöht.«
»Zweitausend Dollar pro Monat«, sagte Milo.
»Ich weiß«, sagte Kipper. »Für einen Typ mit einem Ferrari ist das ein Witz. Aber Julie weigerte sich, mehr Geld anzunehmen. Ich bot ihr an, ihr ein schönes Haus zu mieten – wo sie ein Atelier hätte haben können. Aber sie bestand darauf, in diesem Loch zu wohnen.«
»Sie hingen beide nach wie vor aneinander.«
»Wie ich schon sagte, wir aßen gelegentlich zusammen zu Abend.« Kipper ließ den Kopf hängen. »Gelegentlich schliefen wir miteinander –
Weitere Kostenlose Bücher