Blutnacht
–«
»Julie hat den anderen Künstlern erzählt, es wäre eine gütliche Trennung gewesen.«
»Wie gut haben sie Julie gekannt? Hat sie irgendjemandem von ihren Selbstmordversuchen erzählt?«
»Nein«, sagte Milo. »Sie hat von ihrer Entziehungskur erzählt, aber das andere hat sie nicht erwähnt. Was glaubst du also, dass Julie die Scheidungsvereinbarung angefochten und angefangen hat, Kipper um das große Geld anzuhauen?«
»Vielleicht war sie es leid, weiter die hungernde Künstlerin zu geben, hat gemerkt, wie gut es Kipper ging, und beschlossen, ihren eigenen Lebensstil zu verbessern. Kipper war vielleicht gerne großzügig, solange er die Bedingungen bestimmte. Wenn Julie die Dinge in die Hand nehmen wollte, hätte die Sache völlig anders ausgesehen. Julie hatte allen Grund, Bilanz zu ziehen. Sie kam allmählich in die Jahre, und auch mit ihrem zweiten Versuch, den Durchbruch als Künstlerin zu erzielen, war sie nicht in die Schlagzeilen gekommen. Ich weiß, sie hat Bilder verkauft, aber Light and Space ist keine Galerie in New York, und die Preise für ihre Bilder sind seit ihrer ersten Ausstellung nicht sonderlich gestiegen. Wenn man in Dollars von vor zwanzig Jahren rechnet, sind sie sogar gefallen. Also hat sie es schließlich vielleicht begriffen: Es allein als Malerin schaffen zu wollen würde ein harter Kampf werden, und sie war es leid, gerade so über die Runden zu kommen. Kipper deutete an, sie hätte in einem Loch gewohnt. Wie schlimm war es?«
»Nach seinen Maßstäben: ein Loch. Nach meinen: Grundausstattung. Dreizimmerwohnung in Santa Monica, im Osten neben dem Pico. Das Wohnzimmer war ihr Atelier. Obwohl sie Künstlerin war, hatte sie nicht viel für Inneneinrichtung übrig.«
»Das ist der harte Teil von Santa Monica«, sagte ich. »Straßengangs, Drogenhandel.« Ich dachte an Robins Haus an der Rennie. Tim Plachette war ein netter Mann, ein sanfter Mann, immer höflich zu mir. Würde er zu irgendetwas zu gebrauchen sein, wenn es hart auf hart kam?
Milo sagte gerade:»… werde ich noch mal mit den Nachbarn reden. Den Ehemann ein bisschen unter die Lupe nehmen.«
»Sieh mal, was du über seine finanzielle Situation in Erfahrung bringen kannst. Manchmal neigen Investment-Profis zu übergroßem Optimismus und werden leichtsinnig mit ihren Fonds. Falls Kipper bei einem Deal ein zu großes Rad gedreht und richtig viel Geld verloren hat, könnte er in Versuchung geraten sein, seine Verpflichtung Julie gegenüber abzustreifen.«
»Kräftige Hände«, sagte er. »Er ist ein kleiner Kerl, aber immer noch größer als Julie. Er wäre stark genug, sie auf der Toilette zu überwältigen.«
»Vielleicht musste er sie nicht überwältigen. Sie hat ihm vertraut. Das wäre zu dem Überraschungsmoment noch hinzugekommen.«
»Inwiefern vertraut?«
»Er hat uns erzählt, dass sie immer noch miteinander geschlafen haben.«
»Ein Stelldichein in diesem dreckigen Kabuff?«
»Ich hab schon von seltsameren Dingen gehört«, sagte ich.
»Ich auch, aber … ich glaube, deine Phantasie ist noch übler geworden als meine.«
Ich wendete auf der Straße und fuhr zurück zum Santa Monica Boulevard. »Als Julies Onkel dich gebeten hat, den Fall zu übernehmen, hast du da mit ihm über sie gesprochen?«
»Klar.«
»Wusste er von ihrer Vergangenheit?«
»Für ihn war sie nur die süße, begabte Nichte, die nach New York gegangen war. Was ihre Familie anging, war sie Rembrandt.«
»Wie schön, wenn einen jemand zu schätzen weiß.«
»Yeah.« Einen Augenblick später sagte er: »Kräftige Hände. Wer auch immer Julie erwürgt hat, hat sich nicht auf seine Hände verlassen, sondern einen Draht benutzt.«
»Eine gute Methode, damit die Hände sauber bleiben«, erwiderte ich. »Zumal wenn man außerdem noch Handschuhe benutzt. Verringert das Risiko, Spuren zu hinterlassen.«
»Saubere Hände.«
»Sozusagen.«
Ich setzte ihn ab, fuhr nach Hause und schaltete den Computer ein. Ein halbes Dutzend Suchmaschinen ergaben sehr wenig in Bezug auf Everett und Julie Kipper.
Drei Treffer bei ihm: Reden, die er auf von MuniScope veranstalteten Seminaren für Privatkunden gehalten hatte. Jedes Mal das gleiche Thema: Steuerzahler mit hohem Einkommen, die beim Kauf steuerfreier Wertpapiere eher auf das Agio als auf Dividenden achteten, konnten auf lange Sicht tatsächlich Geld sparen.
Julies Name tauchte nur einmal auf: Vor sechs Monaten war eins ihrer frühen Bilder auf einer Arcade-Auktion von Sotheby’s
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