Blutnacht
sie zunächst einen Riesenerfolg. Bekam einen Platz in einer qualitativ hochklassigen Gruppenausstellung einer Galerie mitten in Manhattan und verkaufte jedes einzelne Bild. Sie bekam auch großartige Kritiken, aber stellen Sie sich vor: Das hieß nicht, dass sie richtiges Geld verdient hätte. Ihre Gemälde lagen preislich zwischen achthundert und zwölfhundert Dollar, und nachdem der Galerist und ihr Agent und alle anderen Gierlappen sich ihren Anteil geholt hatten, war vielleicht noch genug übrig, um ein Mittagessen im Tavern on the Green zu bezahlen. Die Galerie hob ihren Preis auf fünfzehnhundert pro Bild an und forderte sie auf, die Produktion anzukurbeln. Die nächsten sechs Monate hat sie gearbeitet. Vierundzwanzig Stunden am Tag, oder zumindest kam es mir so vor.« Er verzog das Gesicht.
»Hartes Training«, sagte Milo.
»Eher eine Form von Selbstzerstörung.«
»Hat sie irgendwelche Hilfe in Anspruch genommen, damit ihre Energie sie nicht im Stich ließ?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Kipper.
»Wir wissen von ihrem Drogenproblem. War das die Zeit, als es begonnen hat? Kokain kann in dieser Hinsicht sehr effizient sein.«
»Koks«, sagte Kipper. »Damit hatte sie schon lange vorher angefangen – im College. Aber ja, es wurde heftiger, als die Galerie verlangte, dass sie Instant-Kunst in einem unmenschlichen Tempo fabrizierte.«
»Was für ein Tempo war das?«
»Ein Dutzend Bilder in vier Monaten. Ein Nichtskönner hätte das problemlos zusammenschmieren können, aber Julie war penibel. Sie hat eine Farbschicht nach der anderen aufgetragen, abwechselnd mit ihren eigenen Lasuren und Lacken. War so wählerisch, dass sie manchmal ihre eigenen Pinsel gemacht hat. Konnte Wochen damit verbringen, Pinsel zu machen. Und Rahmen. Jeder Einzelne musste original sein – perfekt für das Gemälde. Alles musste perfekt sein. Alles wurde ein Projekt von immenser Bedeutung.«
»Ihre jetzigen Arbeiten haben keine Rahmen«, sagte ich.
»Das habe ich gesehen«, erwiderte Kipper. »Ich habe sie danach gefragt. Sie sagte, sie konzentriere sich auf das Bild selbst. Ich hab gesagt, das wäre eine gute Idee.« Eine Hand ballte sich zur Faust. »Julie war brillant, aber ich weiß nicht, ob sie jemals wirklich erfolgreich gewesen wäre.«
»Warum nicht?«
»Weil sie zu begabt war. Was heute so als Kunst durchgeht, ist reine Scheiße. Videoinstallationen, ›Performances‹, Mist, der zusammengesetzt ist aus »gefundenen Materialien – das ist Kunstjargon für Stöbern im Mülleimer. Wenn Sie heutzutage einen Dildo mit einer Limonadenflasche zusammenheften, sind Sie Michelangelo. Wenn Sie tatsächlich wissen, wie man zeichnet, sind Sie unten durch. Nehmen Sie dann noch Julies absoluten Mangel an Geschäftssinn und …« Kipper ließ die Schultern hängen. Sein schwarzer Anzug warf kein Fältchen.
»Nicht von dieser Welt«, sagte ich.
»Genau«, erwiderte Kipper. »Sie befand sich nicht im Einklang mit ihrer Umwelt. Nehmen Sie zum Beispiel diese Geldsache. Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, dass sie einen Teil der Unterhaltszahlungen in einen sicheren Fonds investiert. Wenn sie damit zum selben Zeitpunkt angefangen hätte wie ich, hätte sie jetzt schon eine schöne kleine Rücklage gehabt, und sie hätte ihrer Kunst auf eine Weise nachgehen können, die ihr zugesagt hätte. Stattdessen musste sie sich dazu herablassen, Aufträge aus der Werbung anzunehmen.«
»Werbegrafik hat sie nicht gemocht?«
»Sie hat es gehasst«, sagte Kipper. »Aber sie weigerte sich, Schritte zu unternehmen, die sie davon befreit hätten. Ich will nicht sagen, dass sie masochistisch veranlagt war, aber Julie hatte definitiv etwas dafür übrig, zu leiden. Sie war nie richtig glücklich.«
»Chronisch depressiv?«, fragte ich.
»Außer wenn sie malte.«
»Ich möchte einen Moment zurückgehen«, sagte Milo und blätterte in seinem Notizblock. »Die New Yorker Galerie, die sie vertrat – der Lebenslauf in ihrer Broschüre nennt The Anthony Gallery –«
»Das ist sie. Lewis Anthony, der Blutsauger.«
»Kein netter Mann?«
»Das sind nur wenige von denen«, antwortete Kipper.
»Von den Galeristen.«
»Galeristen, Agenten, Sammler.« Beide großen Hände waren jetzt zu Fäusten geballt. »Die so genannte Kunstszene. Wir reden von zutiefst unbegabten Menschen – Menschen, die so weit von einem persönlichen Talent entfernt sind, dass sie es nicht erkennen würden, wenn es sie in die Gonaden beißt –, die von den Früchten
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