Blutnacht
noch etwas, worüber ich mit Robin sprechen muss.«
Eine Sekunde lang keine Bewegung, dann trat er zur Seite.
Ich ging an ihm vorbei durch das kleine, dunkle Wohnzimmer, das mit seinen massiven Eichenmöbeln und den wenigen Sachen eingerichtet war, die Robin mitgenommen hatte. Ein alter Wandschrank in der Diele war in einen Durchgang zwischen den Wohnungen verwandelt worden. Durch die Tür konnte ich das Heulen einer Kreissäge hören.
»Alex?«
Ich blieb stehen und drehte mich um. Tim stand noch an der Tür. »Bitte, regen Sie sie nicht auf.«
»Ich hatte nicht die Absicht.«
»Ich weiß – sehen Sie, ich will offen zu Ihnen sein. Als sie das letzte Mal mit Ihnen gesprochen hat, war sie wirklich außer sich.«
»Das letzte Mal hat sie aus freien Stücken mit mir gesprochen. Sie ist bei mir vorbeigekommen.«
Er zeigte mir in einer besänftigenden Geste die Innenflächen seiner Hände. »Das weiß ich, Alex. Sie wollte mit Ihnen über Baby Boy Lee reden. Ich danke Ihnen.«
»Wofür?«
»Dass Sie ihr zugehört haben.«
»Und doch glauben Sie, dass ich sie aufrege?«
»Nein – sehen Sie, es tut mir Leid. Ich hätte nichts sagen sollen. Es ist bloß so, dass …«
Ich wartete.
Er sagte: »Vergessen Sie’s«, und wandte sich zum Gehen.
Ich fragte: »Kannten Sie Baby Boy?«
Der plötzliche Themenwechsel ließ ihn zusammenzucken. »Ich hatte von ihm gehört.«
»Haben Sie je mit ihm gearbeitet?«
»Nie.«
»Was ist mit China Maranga?«
»Den Namen kenne ich nicht.«
»Sie war eine Sängerin«, sagte ich. »Eigentlich eher eine Schreierin. Deshalb nahm ich an, sie hätte Sie vielleicht konsultiert.«
»Das tun die Schreier selten. Warum fragen Sie nach ihr?«
»Sie ist tot. Ermordet, wie Baby Boy.«
»Deswegen sind Sie hier? Alex, ich glaube wirklich nicht, dass Robin mit weiteren Horrorgeschichten –«
»Ich werde daran denken.« Ich setzte meinen Weg zu der Verbindungstür fort.
»Schön«, rief er hinter mir her. »Sie sind ein Sturkopf. Ich kapituliere. Was halten Sie denn davon, dieses Mal an Robin zu denken?«
Dieses Mal. Ließ den Köder vor mir baumeln. Ich schwamm vorbei.
Ich trat in die Wärme der Maschinen und den Geruch von Hartholz. Der Boden war mit Sägemehl bedeckt. Mehrere Arbeiten – Gitarren und Mandolinen in verschiedenen Stadien der Fertigstellung – hingen an der Wand. Robin hatte mir den Rücken zugewandt, während sie einen Block Rosenholz durch die schwirrende Schneide führte. Ihre Haare waren unter einem der Kopftücher zusammengefasst, die sie sammelt. Sie trug eine Schutzbrille und eine Staubmaske, hatte ein enges weißes Top, eine weit geschnittene Yogahose aus schwarzer Baumwolle und weiße Tennisschuhe an. Das dunkle Holz zischte und verspritzte etwas, das wie Schokostreusel aussah. Sie zu erschrecken wäre gefährlich gewesen, also stand ich bloß da und sah ihr zu und wartete, bis sie den Schalter umlegte und von der Säge zurücktrat und das Dröhnen zu einem Knurren erstarb.
»Hi«, sagte ich.
Sie fuhr herum, starrte mich durch die Brille an, zog die Maske herunter und legte das beschnittene Stück Rosenholz auf die Werkbank.
»Hi.« Sie wischte sich die Hände an einem Lappen ab.
»Ich hab gerade Tim auf dem Weg nach draußen getroffen. Er macht sich Sorgen, dass ich dich aufregen könnte.«
»Tust du’s?«
»Vielleicht.«
Sie warf die Maske hinter sich und sagte: »Komm mit, ich hab Durst.«
Ich folgte ihr in die winzige alte Küche am hinteren Ende des Doppelhauses. Alte weiße Geräte und gelbe Fliesen, von denen mehrere ausgebessert waren. Der Raum war deutlich kleiner als die elegante neue Küche, die wir gemeinsam entworfen hatten. Aber wie in jener Küche war hier alles makellos und an seinem Platz.
Sie nahm einen Krug Eistee, goss zwei Gläser voll und brachte sie zu dem Resopaltisch, der kaum in den Raum passte. Es war nur Platz für zwei Stühle. Vermutlich hatten sie nicht viele Gäste. Wahrscheinlich hatten sie mit sich selbst genug zu tun …
»Cheers«, sagte sie. Sie machte keinen fröhlichen Eindruck.
Wir tranken Tee. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Ich sagte: »Falls du viel zu tun hast –«
»Nein. Ich bin müde. Ich stehe seit sechs Uhr im Atelier; ich bin reif für mein Schläfchen.«
In den alten Tagen hätte ich ein gemeinsames Schläfchen vorgeschlagen. »Ich gehe«, sagte ich.
»Nein. Was macht dir zu schaffen, Alex?«
»China Maranga.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich hab nachgedacht«, erwiderte ich.
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