Blutnacht
gedacht zu haben, wie unheimlich es war, dass sie vielleicht von einem Typ wie Manson ermordet wurde. Eine Ironie des Schicksals, verstehen Sie?«
Das Charter College stand auf einem Grundstück von sechzig Hektar in der Nordostecke von Eagle Rock und grenzte sich von dieser hauptsächlich von Latinos bewohnten proletarischen Schlafstadt durch efeubedeckte Stuckwände und herrliche Bäume ab.
Das College war vor hundertzwölf Jahren gegründet worden, als Eagle Rocks Höhenlage und seine saubere Luft Immobilienmakler dazu gebracht hatten, es als »Die Schweiz des Westens« anzupreisen. Mehr als ein Jahrhundert später war die umliegende Hügellandschaft an dem ungewöhnlich klaren Tag schön anzusehen, aber mit seinen Motels diverser Ketten kam Eagle Rock nicht wirklich an einen Ferienort heran.
Ich fuhr den Eagle Rock Boulevard hoch, eine breite, sonnengebleichte Zuflucht für Werkstätten und Fahrzeugersatzteilläden, bog in die College Road ein und gelangte in ein Wohnviertel aus kleinen Bungalows und kompakten Stuckhäuschen. Durch einen Bogen, auf dem das Schulwappen prangte, kam man auf die Emeritus Lane, eine breite, fleckenlose Fahrbahn, begrenzt von einem schildförmigen Blumenbeet, das den Namen des Colleges in roten und weißen Petunien buchstabierte.
Die Campusgebäude waren vom Monterey-Kolonialstil geprägt, alle in demselben Graubraun gestrichen und wie Edelsteine in die Schmuckschatulle alten Baumbestands platziert. Ich hatte über die Jahre ein paar Charter-Studenten behandelt und war vertraut mit dem grundsätzlichen Geschmack der Universität: wählerisch, teuer, von Kongregationalisten gegründet, aber mittlerweile entschieden weltlich, mit einem Hang zu aktivistischer Politik und Engagement für die Gemeinschaft.
Parkplätze für Besucher waren zahlreich und umsonst. Ich nahm mir eine Campuskarte aus einem der Ständer und machte mich auf den Weg zur Anna Loring Slater Library. Viele der gut aussehenden Kids, an denen ich vorbeikam, lächelten. Als wenn das Leben köstlich schmeckte und sie für den nächsten Gang bereit wären.
Die Bibliothek war ein zweistöckiges Meisterwerk aus den Zwanzigerjahren mit einem mediokren, viergeschossigen Anbau aus den Achtzigern, den man an den Südflügel angeheftet hatte. Im Erdgeschoss saßen rund hundert Studenten, die schweigend vor ihren Bildschirmen klebten. Ich fragte einen Bibliothekar nach dem Namen der Schulzeitung und wo ich alte Nummern finden könnte.
»Der Daily Bobcat «, sagte er. »Ist alles online.«
Ich fand einen Computer und loggte mich ein. Die Bobcat-Akte umfasste zweiundsechzig alte Jahrgänge. In den ersten vierzig Jahren war die Zeitung wöchentlich erschienen.
Kevin Drummond war vierundzwanzig, was bedeutete, dass er sich vermutlich vor sechs Jahren eingeschrieben hatte. Ich ging zur Vorsicht ein Jahr weiter zurück und machte mich daran, Tausende von Seiten durchzuscrollen und die Autorenzeilen zu überfliegen. Nichts mit Drummonds Namen darunter tauchte in den ersten drei Jahren auf. Auch keine Artikel von Faithful Scrivener und E. Murphy. Dann, im März von Drummonds vorletztem Studienjahr, wie sich herausstellen sollte, landete ich meinen ersten Treffer.
Kevin Drummond, Kommunikationswissenschaften, hatte die Kritik einer Talentprobe im Roxy auf dem Sunset verfasst. Sieben neue Bands, die sich alle Hoffnungen auf einen Durchbruch machten. Eine Kurzkritik zu jedem Auftritt; Kevin Drummond hatten drei gefallen, vier nicht. Seine Prosa war geradlinig, uninspiriert, ohne all die Schwärmerei oder Sexualmetaphorik der SeldomScene-Artikel.
Ich fand weitere elf Artikel, die sich über anderthalb Jahre verteilten, zehn Besprechungen von Rockkonzerten, ähnlich nichts sagend.
Die Ausnahme war interessant.
Im Mai von Drummonds letztem Jahr. Namenszeile Faithful Scrivener. Ein retrospektiver Blick auf Baby Boys Karriere.
Dieser Artikel war länger, überschwänglich und nannte Baby Boy »eine Ikone, deren elefantenähnliche Schultern sich vielleicht wie die von Atlas unter dem gewichtigen Umhang von Robert Johnson, Blind Lemon Jackson und dem gesamten Pantheon der magenwunden Majestäten aus dem Delta und aus Chicago beugen mögen, aber deren Seele ganz ist und nie zum Verkauf stehen wird. Baby Boy verdient das Gewicht und den Schmerz der erdrückenden Last des Genies. Er ist ein Künstler mit zu viel emotionaler Integrität und Psychopathologie, um jemals langfristige populäre Anerkennung zu erreichen.«
Der Essay zitierte
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