Blutnebel
wenn es um deine Heimatstadt ginge?«
»Schon kapiert«, sagte sie trocken. »Okay, dann gehen wir noch mal zurück und bitten Molitor, uns eine Liste zu schreiben. Das geht am schnellsten.«
Dev wendete an der nächsten Ecke und fuhr zurück. »Es wäre vielleicht besser, wenn du hingehst. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass Reverend Biggers und ich dicke Freunde sind.«
»Tatsächlich?« Das Wort troff von gespieltem Erstaunen. »Dabei dachte ich, sein Gruß sei liebevoll gemeint gewesen. Aber anscheinend sind noch ein paar alte Rechnungen zwischen euch offen.«
»Das vor allem. Aber es gab auch Vorfälle in jüngster Zeit. Er hat sich neulich darüber aufgeregt, dass ich nachts auf dem Friedhof war, obwohl ich eine Genehmigung hatte.« Er zuckte die Achseln. »Wir sind eben unterschiedlicher Meinung in Bezug auf die Sünden der Väter, könnte man sagen.«
Ihr amüsierter Gesichtsausdruck verschwand augenblicklich. »Ich könnte ihn mir ein bisschen zur Brust nehmen, wenn du willst.«
Für ein sicher nur scherzhaft gemeintes Angebot klang es doch irgendwie verheißungsvoll. Und es freute ihn, dass sie für ihn Partei ergriff, auch ohne Näheres über das böse Blut zwischen ihm und dem Reverend zu wissen.
»Der alte Sack hätte womöglich noch Spaß daran«, sagte er leichthin und hob eine Hand, als sie an Margaret Ann Nierling vorüberfuhren, die gerade ihre Pfingstrosen goss. »Ich hatte schon immer den Verdacht, dass diejenigen, die sich so untadelig vorkommen, oft die größten Sünder sind.«
»Ja.« Ihre Stimme wurde ernst. »Das hab ich auch schon festgestellt.«
Er drosselte das Tempo an der Ecke der Nantucket Street, die an der Westseite der Kirche entlang verlief, blinkte und wendete. Ramsey sah zum Fenster hinaus, doch ihr Profil wirkte starr. Irgendwann musste sie ihm anvertrauen, was in ihrer Vergangenheit geschehen war und sie veranlasst hatte, diesen Schutzschild um sich herum zu errichten. Da dies jedoch nur dann sinnvoll war, wenn sie ihm freiwillig davon erzählte, musste er sich eben gedulden.
»Fahr zurück.«
Er sah sie verwirrt an, doch sie schaute immer noch aus dem Fenster.
»Warum?«
Sie packte seinen Arm, sah ihn jedoch nicht an. »Fahr zurück!«
Ihr aufgeregter Tonfall ließ ihn in den Rückspiegel schauen und noch langsamer fahren. Direkt hinter ihnen kam ein anderes Auto, sodass er unmöglich anhalten konnte.
»Dev, das ist mein Ernst. Ich will …«
»Nur die Ruhe. Selbst in einer Kleinstadt wie hier gelten die Verkehrsregeln.« Er hielt an, drehte sein Fenster herunter und bedeutete dem Fahrer hinter ihm, ihn zu überholen.
Als die Straße frei war, fuhr er ein Stück zurück und hielt vor der Seitenfassade der Kirche. Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, stürmte Ramsey hinaus. »Wo willst du …« Er stellte den Motor ab und folgte ihr, wobei er sich fragte, wann er sie jemals so aus dem Häuschen erlebt hatte.
»Was glaubst du, was das ist?«
Er blinzelte in die Richtung, in die sie zeigte, und spürte, wie sich sein Magen zusammenzog, als er die Bilder in den schlichten Buntglasfenstern auf beiden Seiten der Tür entdeckte. Rechts waren Kiefernzapfen abgebildet, ein weiches Braun auf dem milchigen gelben Glas. Und zur Linken … er neigte den Kopf zur Seite. »Ist das eine Blume?«
»Jedenfalls irgendeine Pflanze.« Sie sprühte förmlich vor Adrenalin. »Und das hier war ursprünglich die Vorderseite der Kirche. Das habt ihr doch vorhin beide gesagt. Ehe beschlossen wurde, dass die Main Street in anderer Richtung verlaufen soll. Und Molitor hat gesagt, dass diese Fenster noch original sind, stimmt’s? Alle außer dem vorderen.«
»Das hat er gesagt.« Ganz egal, was er über den Fall, an dem Ramsey arbeitete, wissen durfte und was nicht, sie hatten fast einen ganzen Tag mit Besuchen bei verschiedenen Heilkundigen in der Umgebung verbracht, und sie hatte ein kleines Vermögen für Proben aus Raelynn Urdalls Garten ausgegeben. Es war klar, dass eine Pflanze eine große Rolle in Ramseys Ermittlungen spielte.
»Frag Molitor, was er dir über die Fenster sagen kann. Ich mache inzwischen ein paar Fotos.« Er hatte nach wie vor seine gesamte Ausrüstung im Kofferraum, nachdem er am Vormittag nutzlos seine Zeit am alten Haus der Kuempers vergeudet hatte.
Doch er sprach nur mit Ramseys Kehrseite, denn sie war bereits auf dem Weg zum Wohnhaus des Pastors.
»Ich hätte eigentlich gedacht, dass die Menschen in einer Kleinstadt mehr Interesse an
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