Blutnebel
mich raten. Sie sind kein Morgenmensch.«
»Ich habe gerade direkt neben dieser Frau gesessen und sie gefragt, ob ich mal im Historischen Museum vorbeikommen und mich mit ihr über die Legende unterhalten kann«, erklärte ihm Ramsey mit wutentbrannter Stimme. »Zu mir hat sie gesagt, dazu sei sie viel zu beschäftigt.«
»Das hat sie bestimmt nicht so ernst gemeint.«
»Ich beherrsche den Südstaatendialekt, Stryker. Ganz egal, wie höflich es auch formuliert wird, ich höre die Abfuhr heraus.«
»Nun, wenn Sie sich mit den Leuten aus dem Süden so gut auskennen, dann dürfte es Sie ja nicht überraschen, dass sie gegenüber Fremden ziemlich verschlossen sind.« Er warf der Bedienung, die sich ihm bereits näherte, ein Lächeln zu. »Für mich bitte das Übliche, Vicki.«
»Geht klar.«
Er wandte sich wieder Ramsey zu. »Offen gestanden haben Sie ein doppeltes Handicap. Sie sind nicht von hier, und Sie arbeiten bei der Polizei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Donnelle die Erste war, die nicht scharf darauf ist, Ihnen gegenüberzusitzen und einen Haufen Fragen zu beantworten.«
Sie hatte verstanden. Ramsey griff nach dem Wasserglas, das ihr die Bedienung hingestellt hatte. »Wahrscheinlich muss ich noch dankbar dafür sein, dass ich diesmal nicht mit der Schrotflinte verscheucht worden bin.«
Der Humor verschwand aus seinem Gesicht, und sie staunte über den stahlharten Blick, der in seinen Augen erschien, wenn er sein Dauerlächeln einmal abschaltete. »Jemand hat Sie mit einem Gewehr bedroht?«
Sie überlegte, wie viel sie ihm verraten sollte, ehe sie innerlich die Achseln zuckte. Bis jetzt war bei ihren Befragungen der Einheimischen überhaupt nichts herausgekommen. Stryker dagegen redete am laufenden Band. Er konnte sich genauso gut mal nützlich machen. »Mary Tibbitts war gestern nicht besonders scharf darauf, mit mir zu sprechen. Sie hat versucht, mich mit einer geladenen Schrotflinte davonzujagen.«
Er verzog das Gesicht und nippte an dem Kaffee, den Vicki ihm hingestellt hatte. »Kann ich mir vorstellen. Freut mich, dass sie das Gewehr nicht benutzt hat. Soweit ich weiß, sind die Tibbitts in der Hinsicht nicht gerade für ihre Selbstbeherrschung bekannt.«
»Duane war angeblich drinnen, ist aber nicht rausgekommen. Ich hatte den Verdacht, dass es dort irgendwo eine Meth-Küche gibt. Die Frau sieht aus, als würde sie das Zeug nehmen. Und ich habe einen Mann im Wald hinter dem Haus gesehen, der mich beobachtet hat.«
»Das war wahrscheinlich Ezra T., Duanes kleiner Bruder. Und falls die Tibbitts Meth nehmen, würde ich eher vermuten, dass sie es irgendwo kaufen und nicht selbst fabrizieren. Die Familie hat vor einigen Jahren eine ziemlich harte Lektion erteilt bekommen.« Er hielt inne, um mehr Milch in seinen Kaffee zu gießen, und rührte ihn um, ehe er einen weiteren Schluck nahm. »Soweit ich die Geschichte kenne, war Ezra T. gerade erst zwei Jahre alt und hat im Kinderstuhl in der Küche gesessen, als seine Eltern im Haus Meth gebraut haben. Es gab eine Explosion, bei der sie beide ums Leben kamen. Ezra T. ist mitsamt seinem Stuhl durch die Wand geflogen.«
»Aber er hat überlebt.«
»Mit einem schweren Hirnschaden. Die nächsten zwölf Jahre hat er in einem Heim in Nashville verbracht. Duane und Mary haben ihn erst vor ein paar Jahren zu sich genommen.«
»Ich vermute, es war nicht ihr ausgeprägter Familiensinn, der sie dazu veranlasst hat. Seine Behindertenrente geht doch nun direkt an sie als seine Betreuer, oder?«
»Keine Ahnung.« Mit leisem Klirren stellte Dev die Tasse ab. »Ezra T. ist nicht gefährlich. Er läuft die meiste Zeit im Wald herum und scheint dabei relativ zufrieden zu sein. Er ist ein sagenhafter Imitator. Seine Tierlaute kann man kaum von echten unterscheiden. Ich glaube, er hat mich lange beobachtet, als ich neulich abends am Teich war. Die meiste Zeit hat er sich hinter den Bäumen versteckt. Er ist harmlos.«
»Wenn er sich so viel im Wald aufhält, könnte er doch auch in der Nacht, als die Leiche dort abgelegt wurde, etwas gesehen oder gehört haben.« Hatten Rollins’ Leute ihn befragt? Sie wusste nicht mehr, ob in der Fallakte etwas darüber gestanden hatte, dabei war sie am Vorabend lange aufgeblieben und war alles noch einmal durchgegangen.
Dev schüttelte den Kopf. »Er kann nichts Nützliches beitragen, weil er keine verlässliche Quelle ist. Sein Urteilsvermögen und sein intellektuelles Niveau sind auf dem Stand eines Vierjährigen. Niemand
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