Blutnebel
Herrgott noch mal.« Kurz darauf hörte sie eine Tür aufgehen, gefolgt von zornigen Schritten. »Dann hätte ich mir nämlich nicht bis heute Morgen um zwei den Arsch aufgerissen. Wenn du streng auf eine Arbeitszeit von acht bis fünf pochst, sag’s mir gleich. Und nimm die verdammte Hand aus dem Gesicht!«
Ramsey spreizte die Finger ein wenig, um sich zu vergewissern, dass sie die Hand sinken lassen konnte. Jonesy war – Gott sei Dank – angezogen und trug saubere Laborkleidung samt Überschuhen.
»Dann hast du also heute Nacht schon mit den Tests begonnen?«
Jonesy funkelte sie an. »Du machst mir echt Spaß.«
Verspätet besann sie sich auf Diplomatie. »Ich weiß deinen Zeitaufwand zu schätzen. Ganz ehrlich. Vor allem nach der langen Fahrt gestern. Äh …« Sie suchte nach weiteren Schmeicheleien. »Hast du schon gefrühstückt?«
»Ich würde jetzt frühstücken, wenn du nicht hereingeplatzt wärst.«
»Ich kann dir nämlich gern etwas holen.« Wenn es ihn besänftigte, ihm einen Donut und einen Becher Kaffee vom Motel zu besorgen, so konnte sie ihm diesen kleinen Gefallen gerne tun. Ein fröhlicher Wissenschaftler kam schneller zu Testergebnissen. Zumindest zählte sie darauf.
»Wirklich?« Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu und litt offenbar immer noch unter ihrem anfänglichen Zusammenstoß.
Nun hätte sie ihm erklären können, dass schließlich sie diejenige war, die bis ans Ende ihrer Tage die seelischen Narben mit sich herumschleppen musste, doch sie schwieg weise.
»Am liebsten hätte ich ein Käseomelett. Vielleicht mit Bratkartoffeln. Gibt’s hier unten auch Biskuits mit Bratensoße? Bestimmt. Und ein paar Pfannkuchen. Mit Blaubeeren, wenn sie das haben. Vielleicht schreibst du’s dir lieber auf.«
Ramsey öffnete den Mund zum Protest. Die paar Meter zum Motel zu gehen war eine Sache, doch in ein Lokal in der Stadt zu fahren, um etwas zu holen, eine ganz andere. »Ich war eigentlich auf dem Weg zum Sheriffbüro.« Sein Blick ließ sie widerwillig nachgeben. »Aber ich kann dir trotzdem schnell was holen.« Ihr war eingefallen, dass Mary Sue ein Lokal erwähnt hatte, wo es Frühstück gab.
Ramsey wartete zähneknirschend, während Jonesy nach Stift und Zettel kramte, um ihr seine Wünsche aufzuschreiben. Wenn sie nett zu ihm war, konnte sie ihn bei Laune halten. Doch das trug rein gar nichts dazu bei, den Anblick seiner Nacktheit aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Selten hatte sie sich so nach punktuellem Gedächtnisschwund gesehnt.
Der Geräuschpegel im Henhouse hätte Ramsey, die alles andere als ein Morgenmensch war, beinahe stehenden Fußes kehrtmachen lassen. Es war proppenvoll, und die Stimmen der vielen Gäste verschmolzen zu einem Getöse, das tatsächlich an einen Hühnerstall erinnerte. Mit raschem Blick erkannte sie, dass sämtliche Tische besetzt waren, doch am Tresen gab es noch einen freien Platz, und so setzte sie sich dorthin.
Eine gehetzt wirkende Kellnerin schenkte der Frau neben ihr Kaffee ein. »Entschuldigen Sie, kann ich bitte …«, begann Ramsey, nur um den Rücken der Bedienung vor sich zu sehen, die ebenso schnell, wie sie gekommen war, wieder davoneilte und den ganzen Tresen entlang Tassen füllte.
»Sie müssen schon schneller sein, wenn Sie bei Vicki Gehör finden wollen«, sagte die Frau neben ihr.
»Aha.« Ramsey musterte die Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam. »Gibt es die Sachen hier auch zum Mitnehmen?«
»Ja, und Sie brauchen auch bestimmt nicht lange zu warten, bis Vicki wieder hier vorbeikommt und Sie bestellen können. Sie hat eine Methode, und wenn Sie sie machen lassen, werden Sie sehen, dass sie ziemlich systematisch ist.«
»Danke.« Ramsey musterte ihre Nachbarin noch immer. »Sie sind nicht vielleicht mit Leanne Layton verwandt, oder?«
»Doch. Ich bin ihre Mama.« Die Frau setzte ein Lächeln auf, das dem ihrer Tochter ähnelte. »Und zwar eine stolze Mama. Das Mädchen bringt es wirklich zu etwas mit ihrem Salon. Waren Sie schon mal dort?«
Verlegen nahm Ramsey den charmant formulierten Hinweis zur Kenntnis, dass sie gut einen Friseurtermin hätte vertragen können. »Ja, war ich. Ich habe gestern mit Leanne gesprochen. Und vorgestern Abend. Mein Name ist Ramsey Clark. Sie hat mir erzählt, dass Sie eine Art Expertin für die Legende über den roten Nebel sind.«
»Tja, nett von ihr, aber das bin ich nicht.« Donnelle Layton tupfte sich sachte die Lippen, um den Lippenstift nicht zu verschmieren, der vom gleichen
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