Blutorangen
und rollte die Zeitung auf. Ich sah eine Handvoll Buchweizen mit zerdrückten rosa Blüten und einen herausgerissenen Zweig Beeren, und die roten Beeren verschmierten das Papier. Sollte das ein Witz sein? Ein Geschenk von jemandem? Ich fragte mich, ob irgendein neuer Cowboy unten eingezogen war — ich bemerkte, daß die Blumen aus dem Sumpfland unter dem Felsen westlich von meiner Wohnung waren.
Am nächsten Morgen versuchte ich, mit Joe zu sprechen. »Der ist verreist«, sagte jemand. Verreist. Ich hätte während der Woche versuchen sollen, ihn zu sehen, und hätte herausfinden sollen, wie es mit dem Fall steht.
Der Kuß hatte mich aus der Bahn geworfen. So sehr ich ihn mochte, so ließ mich dieser Kuß die Frage stellen, ob ich ihn richtig eingeschätzt hatte. Ich versuchte, diesem Vorfall nur Momente an Aufmerksamkeit zu widmen und ging nicht so oft bei ihm vorbei, wie ich es sonst getan hätte. Es war zu viel, herauszufinden, was dieser plötzliche, aggressive, ja sogar verzweifelte Kuß bedeutete. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich damit anfangen sollte oder was ich sagen würde, wenn sich die Situation ergab. Vielleicht würden wir nie darüber sprechen. Wir würden weitermachen wie vorher, wie zwei Menschen, die gerne zusammen arbeiten. Aber er gehörte auch zur alten Schule eine Generation vor mir, in der, wenn eine Frau Opfer ihrer eigenen schlechten Einschätzung und zum Büroklatsch würde, für einige Leute zum Freiwild wird. Ich hatte Patricia falsch eingeschätzt. Warum nicht auch Joe?
Ich ging zu Trudy, um mit ihr zu sprechen. »Wer kümmert sich um den Fall Dwyer, wenn Joe S. weg ist?« fragte ich sie. Sie zuckte mit den Schultern und sah mich ausdruckslos an.
»Sprich mit Stu.« Die Distanz zwischen uns schien wieder da zu sein. Sie malte weiter. Unter Trudys Handgelenk entstand ein Frauengesicht.
»Noch nicht identifiziert?« fragte ich sie. Sie sagte ja.
Im Laufe eines Jahres bekommt die Gerichtsmedizin ungefähr 2 500 Leichen zu sehen, von denen etwa 150 Mordopfer waren. Von den 2 500 haben fast 100 für eine Weile keine Identität. Dann arbeiten die Leute in der Gerichtsmedizin daran, sie zu identifizieren und ziehen Spezialisten heran, um Gesichter wiederherzustellen, indem sie mit kleinen Hölzchen Knochen rekonstruieren und dann das Ganze mit Ton überdecken. Dann überprüfen sie die Fingerabdrücke durch das Computersystem des Sheriffs, dann das des Staates und dann das des FBI. Die Menschen wollen es wissen, wenn ihre Angehörigen sterben.
Ich erzählte Trudy von meinen Bedenken bei den Zeitschriften. Sie wußte nichts davon. Ich ging zurück zu meinem Schreibtisch und rief Gary an, hinterließ eine Nachricht und rief dann Bud Peterson an. Er sagte mir, daß die Hefte mit Ninhydrin eingesprüht worden waren, um die verborgenen Fingerabdrücke herauszuholen.
Joe Sanders kam durch meine Bürotür und blieb sofort stehen, als er mich am Telefon sah. Er drehte sich um, als ob er gehen wollte, aber er wartete doch. Er war also doch da. Er war noch nicht weg.
Vielleicht hatte er darüber nachgedacht und festgestellt, daß er mir eine Entschuldigung schuldete. Ich hielt seinem Blick stand, mußte aber mit Peterson reden.
»Alle?« fragte ich.
»Wir können nicht alle Hefte und jede Seite untersuchen.«
»Also, habt ihr sie nicht untersucht.«
»Ich sagte doch, ja«
Joe winkte mir zu und ging.
Peterson sprach weiter. »Wir machen unseren Job gründlich. Genau wie ihr. Wir haben auch Abdrücke von vielen anderen Stellen genommen.«
»Aber nichts ist daraus geworden.«
»Noch nicht«, sagte er.
Ich kam nicht weiter. Ich hatte noch viel Arbeit zu erledigen. Nachdem ich aufgelegt hatte, kümmerte ich mich um den Papierkram auf meinem Schreibtisch. Da sammelt sich ziemlich schnell ziemlich viel an. Jemand wollte ein Softball-Team zusammenstellen — das war das erste und das dritte Blatt in meinem Eingangskörbchen. Dann ein Schreiben, das nicht für mich war: ein Bericht über einen Todesfall eines Kleinkindes, der sich als Fleischvergiftung herausstellte. Dann ein Erinnerungszettel von Joe, daß wir den Begriff perimortem für den ungefähren Todeszeitraum nicht mehr verwenden sollten; er wäre vor Gericht nicht brauchbar.
Kurz vor der Mittagspause rief Joe mich an. Er war noch immer da. »Smokey, ich wollte dir nur sagen, daß es mir leid tut.«
Es überraschte mich, daß er gleich damit herauskam. »Was ist los, Joe? Du bist in der letzten Zeit so
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