Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
Vom Netzwerk:
noch einmal, daß es mir leid täte und daß Jerry ein wundervoller Junge war. Ich wollte fast sagen: ich verstehe es ganz genau, aber warum sollte ich meinen eigenen Kummer miteinbeziehen? Alle sagten, es täte ihnen leid, als ich Bill verlor. Andere Polizisten, deren weißbehandschuhten Hände meine schüttelten, ihre Augen rot vor Emotionen, die sie nicht über die Lippen brachten, bis auf diese drei unangemessenen Worte. Ihre Frauen umarmten mich mit Angst in ihren Gesichtern. Man muß aber selber irgendwie dadurch kommen.
    Ich sagte: »Wir könnten uns nächste Woche treffen.« Das würde ihr Zeit geben, die Beerdigung ein wenig zu verkraften.
    Sie sagte: »Ich würde mich gerne heute Abend mit Ihnen treffen, wenn das möglich ist.«
     
    Es war ein ungewöhnlicher Ort, um sich für so ein Gespräch zu treffen. Es war Gianni’s« im Crystal Court, neben der Rolltreppe. Diesen Ort fand ich nie gut. Man sitzt an ganz förmlichen Tischen und wird von Kellnern im Frack bedient, während Einkäufer mit ihren Taschen von italienischen Designern die Rolltrepppe hoch und runter fahren und beobachten, welche Gabel man benutzt. Crystal Court ist auf der vornehmen Seite des South Coast Plaza. Schaufensterpuppen haben Weltkugeln als Köpfe und tragen Paillettenbadeanzüge mit Paillettenbadestolas. Frauen mit blutrotem Lippenstift und porzellanweißer Haut flanieren dort mit Männern mit seidigen Einstecktüchern. Der Fußboden ist aus rosafarbenem Marmor, die Rolltreppe aus glänzendem Messing. An Wochenenden spielt jemand klassische Musik auf dem Piano am Gipfel der Rolltreppe und da Weihnachten vor der Tür stand, spielte man jetzt Weihnachtsmusik. In der Mitte stand ein riesiger Tannenbaum, um den Spielzeugzüge surrten.
    Wir wollten uns um halb sechs treffen, und ich sagte Mrs. Dwyer, daß ich eine hautfarbene Safaribluse und einen schwarzen Rock mit schwarzen Strümpfen tragen würde. Es hatte immer noch nicht geregnet, und es waren immer noch fast dreißig Grad, deshalb ging ich ohne Jacke. Sie sagte, sie hätte blonde Haare und trüge ein türkisfarbenes Kleid. Ich saß da und malte mit der Gabel kleine Muster in die Tischdecke. Der Kellner hatte mir Kaffee gebracht und jetzt Wein, aber er starrte mich immer noch an, obwohl kaum jemand dort war. Zehn nach sechs und keine Mrs. Dwyer. Als sie nach vierzig Minuten immer noch nicht hier war, entschloß ich mich zu gehen. Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt. Natürlich war der Kellner gerade nicht da. Ein paar Frauen, die nach mir gekommen waren, suchten ihn auch, deshalb kramte ich in meiner Börse nach Geld, um zu gehen, als ich ein »Entschuldigung« hörte. Eine schlanke, blonde Frau stand neben mir. »Es tut mir so leid«, sagte sie. »Ich habe den Verkehr nicht berücksichtigt.« Sie streckte ihre Hand aus und sagte: »Rowena Dwyer.«
    Sie war jünger als ich angenommen hatte. Unter ihren Augen war eine helle Creme, die ihre dunklen Ringe verdecken sollte. Ihr Gesicht war breit und hübsch. Sie trug eine Kette aus kleinen, weißen Keramikrosen.
    Wie bestellt kam der Kellner. Wir nahmen Salat und Wein. Wir aßen wenig, und ich hatte Angst, daß eine von
    uns aufgrund des Weins rührselig würde. Ich schlug vor Brot zu bestellen und rief den Kellner wieder. Gut, auch etwas Pasta.
    Was Mrs. Dwyer wollte, konnte ich ihr nicht geben. Sie wollte die Gewißheit, daß das Grausame, was ihr widerfahren ist, keiner anderen Mutter widerfährt. Die Zusicherung, daß die Mörder den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen. Das konnte ich ihr allerdings nicht versichern. Sechzig Prozent aller Gewaltverbrechen werden von zehn Prozent aller Gefängnisinsassen verübt. Was sagt uns das? Es sagt uns, daß die Verbrecher wieder rausgelassen werden, um neue Verbrechen zu begehen, und daß eine Strafe von fünfzehn Jahren gewöhnlich in sieben abgegolten ist.
    »Ich ließ Jerry bei seinem Vater als er fünfzehn war«, sagte Mrs. Dwyer. »Sie sehen, daß sein Vater viel älter ist als ich. Ich mußte einen klaren Kopf bekommen, und er war ein guter Vater, also warum sollte ich nicht gehen?« Sie gab sich die Schuld dafür, daß sie nicht mehr Zeit mit ihrem Sohn verbracht hatte. Sie fragte, ob sie hier rauchen dürfe. Obwohl ich es nicht glaubte, und da ich mich auch nicht dafür begeistere, nickte ich. Als sie die Zigarette angezündet hatte, warf sie ihr schulterlanges Haar nach hinten. Ich konnte mir vorstellen, wie sie an einer Bar aussähe, wie sie sich ernst mit

Weitere Kostenlose Bücher