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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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abgetrocknet hatte. Das Mädchen war dreizehn und ihr Mörder war ihr Nachbar. Das war das erste von vielen Malen, wo ich gerne Gerechtigkeit hätte walten sehen wollen, eine persönliche, unkomplizierte Zuweisung von Strafe, die ich eher als Wiedergutmachung gesehen hätte.
    Der Westminsterpolizist drehte sich herum, eine Frage stand in seinem Gesicht geschrieben, als ich mit einem Stift auf das Fensterglas tippte und Joe den Rand mit der roten Farbkonzentration zeigte. Ich schüttelte den Kopf und sprach wieder mit Joe.
    »Lauter kleine Anführungsstriche. Vorderes Bein, mittleres Bein, hinteres Bein.« Fliegenbeine hatten dieses Muster hinterlassen. Wenn man sechs rote Abdrücke abseits von der Masse sah, konnte man es klar erkennen. Ich sagte: »Fliegen.«
    »Hm. Nicht schlecht.«
    »Wer braucht einen Kurs über Insekten?« fragte ich.
    »Machst du einen Kurs über Insekten?«
    »Vielleicht. Mir ist langweilig.«
    »Warum bist du heute so gereizt?«
    »Ich bin nicht gereizt.«
    Ich ging zum vorderen Teil des Ladens, Joe war irgendwo hinter mir. Ich ging an dem weißen Plastiktisch vorbei, der mit großen Blutflecken übersät war. »Mal sehen, was es sonst noch gibt«, sagte ich. Joe hatte von dem Blut auf dem Tisch und an einem Stuhlbein Abstriche mit einem Q-Tip und einem Glasplättchen genommen. Es ist nicht ungewöhnlich, fünfzig oder siebzig Blutproben von einem Tatort zu entnehmen. Joe hatte schon die größten Blutlachen neben dem Opfer mit einer Spritze aufgezogen.
    Er stand neben mir bei den Vorderfenstern, und wir sahen uns beide die Farbe an, mit der das Glas bemalt war, er betrachtete einen Klumpen von Weihnachtsstern, ich ein Kamel mit Glöckchen um den Hals. Ich sagte: »Ach, Joe.«
    »Hm?«
    »Weißt du, daß, wenn du bei einer Wanderung in den Bergen eine Glocke an deinem Rucksack befestigst, das Grislybären verscheucht?« Er sah mich offen an, sein Ausdruck wurde entspannter. Ich nickte zum Kamel hin. »Wirklich; denkst du, daß es in der Wüste Grislybären gibt und die Kamele deshalb Glöckchen tragen?«
    »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
    »Es ist verdammt nochmal bald Weihnachten und ich habe noch kein Geschenk.«
    »Ich dachte, alle Frauen gingen gerne einkaufen.«
    »Dann denk’ nochmal.«
    »Du hattest doch soviel freie Zeit.«
    »Richtig.«
    Er ging näher an die Eingangstür, von mir weg. Ich sah draußen die Patrouillenautos, neugierige Leute dahinter, das gelbe Band, das den Tatort absperrte, schwang im Wind wie beim Seilchenspringen, nur langsamer.
    Weggespritztes Blut hatte sich am Türrahmen festgesetzt. Und noch mehr davon an der östlichen Wand. Joes Ausrüstung lag auf einem Klapptisch. Er ging dorthin und nahm einen Wattebausch, den er in Salz getaucht hatte, und zwei Glasplättchen mit. Während erwischte, fragte ich: »Hat schon jemand eine Panoramaaufnahme gemacht?« Damit meinte ich, daß man in der Mitte stand und um sich herum fotografierte und auf diese Weise wenn schon keine 360 Grad, dann zumindest 180 Grad des Raumes einfangen konnte.
    Joe sagte: »Billy Katchaturian.«
    Ich überprüfte die Fensterbank, wo zwei Fliegen in unterschiedliche Richtungen gingen. Es war ein ungewöhnlicher Moment, das vorzubringen, aber ich sagte: »Du hattest recht. Mir ist tatsächlich eine Laus über die Leber gelaufen. Dafür gibt es einen Grund.«
    Joe hielt bei der nochmaligen Untersuchung des Glases inne und sah mich an.
    »Vielleicht ist das nicht der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt, aber ich möchte etwas wissen. Da du ja schon gefragt hast.« Ich stand ihm gegenüber; wahrscheinlich hoffte ich, er könne Gedanken lesen.«
    »Also?« fragte er. Ich mochte es, wie er aussah, die Vorsicht, die Güte. »Was?«
    »Ich würde gerne wissen, warum du mir nicht gesagt hast, daß du dich von deiner Frau getrennt hast.« Ich glaubte, Bedauern und Überraschung in seinem Gesicht zu sehen, und etwas anderes, das ich nicht beschreiben konnte. Ich fuhr fort: »Nicht, daß du es mir hättest sagen müssen. Ich habe kein Recht, in deiner Intimsphäre herumzuwühlen. Es hätte mir nur etwas bedeutet, wenn du es mir erzählt hättest.«
    Er sah aus dem Fenster, in die Welt da draußen, bei einem Baumarkt nahm eine Frau in Shorts etwas aus ihrem Kofferraum, sie sah sich das gelbe Band an und runzelte die Stirn. Ein Vietnamese sah auch in unsere Richtung, zog aber dann an der Hand seines Sohnes, der hinter ihm herging und sein kleines, dreieckiges Gesicht schaute zu uns herüber

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