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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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mir einige Haarsträhnen in die Stirn und andere zur Seite, da sie zu lang geworden waren, um sie, wie Sheena Easton, zurückzukämmen. Vielleicht sollte ich sie dunkelbraun färben mit einigen roten Strähnen und sähe wieder richtig süß aus. Waren das Falten an meinen Augen? Ja. Machte mir das etwas aus? Darauf kann man Gift nehmen.
    Es kam niemand vorbei, aber ich legte dennoch Makeup auf. Zwei Streifen auf die Cherokeewangen — danke Oklahoma — damit ich nicht aussah wie ein Geist. Ich stand noch ein wenig da und schaute mich an, ohne Ausdruck in den taubenblauen Augen, die im Moment vom Shampoo ein wenig gerötet waren, um sich dem Hemd anzugleichen. Spieglein, Spieglein, an der Wand« sagte ich. »Wer ist Smokey?«
    »Smokey, die Tänzerin.« Ich ließ das Hemd über eine Schulter rutschen und dachte, oh, du kleines heißes Ding. Dann weinte ich oder wollte weinen. Ich sagte: »Ach, Scheiße«, und ging in die Küche und griff in den Schrank über dem Ofen, wo ich zwei Flaschen Alkohol versteckte, eine besondere und eine für den täglichen Gebrauch.
    Im Eßzimmer legte ich eine alte Peggy Lee Platte auf: »Is that all there is?« — nicht die Imitation, sondern die echte, der wahren coolen Lady. Ich dachte immer, daß Peggy Lee ein Geheimnis habe, das sie nur demjenigen erzählte, der neben ihr im Bett lag — Doktor-Rechtsanwalt-Schauspieler-indianischer Häuptling — und daß sie einsame Häuser in den Bergen von Idaho und Peru hatte. Ich nahm diese Platte einfach mit, als ich zu Hause auszog, aber Etta James und B.B. King habe ich mir selbst gekauft. In einem Bluesladen. Tell it like it is.
    Ich setzte mich aufs Sofa, legte für einen Moment meinen Kopf zurück und dachte daran, wie einsam ich war. Ich trank Southern Comfort, und das läßt man besser, wenn man alleine in einem spärlich beleuchteten Apartment sitzt.
    Ich versuchte, nicht mehr zu weinen. Ich stand auf und leerte die Einkaufstüte, in der die Geschenke waren, die in den goldenen Schachteln, mit glänzendem goldenen Band eingepackt waren. Das bekam man für die vierzehn Dollar extra, die ich bis jetzt noch nicht verkraftet hatte.
    Ich hatte keinen Weihnachtsbaum, aber wenn ich am Ende der Couch saß und nach Westen schaute, dann sah ich den auf dem Balkon meiner Nachbarin. Sie war ungefähr so alt wie ich, aber aus einer anderen Generation, wenn du weißt, was ich meine. Der Ständer des Baumes, der immer auf dem Balkon stand, war aus Holz. Eine immergrüne Pflanze. Zweimal im Jahr wurden die Spitzen braun und es sah aus, als ob sie versuchten, über das Gitter des Balkons zu wachsen, und ich sah, wie meine Nachbarin sie abschnitt, und das machte mich irgendwie traurig. Vor einer Woche hatte sie die Pflanze mit kleinen bunten Lichtern dekoriert.
    Ich stellte die Geschenke vor das Fenster und unter ihren naum sozusagen. Da war es wieder. Weihnachten. Ich goß mir noch ein wenig Southern Comfort ein und setzte mich nieder auf die Couch. Die Geschenke sahen von dort groß aus. »Vielleicht gleicht die gute Absicht das Verbrechen wieder aus, Smokey, altes Mädchen«, sagte ich laut und trank an meinem Whiskey.
    Als ich mich zurücklehnte, wurde die Decke zur Leinwand, an der ich die Hügel an der Talsperre sah, Weiden, die in den Rinnen des Flußbetts wie grüne Besenköpfe aussahen, und dann sah ich das kleine schwarze Baby in dem pinkfarbenen Strampler, das für immer in der Nähe des Kojotenbusches schlief, wo die Cessna Weizenmehl aus den neuen Häusern gemacht hatte.
    Bei meiner Arbeit lernt man, Bilder zu verdrängen, denn in der Erinnerung sind sie noch schlimmer als in der Realität, manche jedenfalls. Es ist mir ein Rätsel warum. Als ich zum erstenmal eine Leiche sah, einen Unfalltoten mit Kopfverletzungen, sagte ich meinem Partner, meinem lieben Bill, daß ich glaubte, es mache mir weniger aus, als ich gedacht hatte. Er sagte: »Warte ab.« Bill wußte etwas, das ich nicht wußte. Die Bilder kommen nicht einfach nur zurück — sie werden ein Teil von Dir. Man versteht dann, warum die Menschheit sich unpersönliche Ausdrücke dafür erdacht hat: die Verstorbenen, der Körper, der Kadaver, die sterblichen Überreste; der Leichnam, der Verblichene, die Gebeine, der Heimgegangene. Manchmal denke ich, daß wir, die wir diese Arbeiten ausführen, ganz schön komisch sein müssen. Wäre es nicht schön, zur Arbeit zu gehen und die einzige Sorge, die man hätte, wäre, einen armen Hausbesitzer zu beschwichtigen, der seine Bürgschaft

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