Blutorangen
beschleunigt haben will oder herauszufinden, wie man die Inventur und die Verpackung für die Verschiffung der neuen Teile bewältigt, bevor sein Kind wieder zum College zurückgeht?
Mir war an diesem Abend danach, mich selbst zu bemitleiden, ich war ein wenig beschwipst und dachte, daß ich vielleicht Computerkurse machen könnte wie Roland. Dann sang Peggy Lee »Me and My Shadow « und dann dachte ich an Patricia, wie sie mir in der Nacht auf dem Bahnhof gefolgt ist, wie Mutt und Jeff, sie so groß und ich so klein, sie direkt an meinen Fersen oder sich an der Wand festhaltend, wenn sie konnte. Oder wie sie in der Nacht bei Chi-Chi’s aussah, wie die Männer ihr in ihrem pink- und lilafarbenen Kleid mit den glitzernden Ohrringen schöne Augen gemacht haben. Wie sie lachte und mich aufzog. Wie sie dann mit Roland und Annabel Diehl auf dem Balkon vor meiner Tür stand, wie sie flüsterte und ich lauter zurückflüsterte. Dann, wie sie in ihrer Tasche nach Geld suchte, um es der Bettlerin zu geben. Ihre Stimme am Telefon, die mir sagte, daß sie schon einmal mit einem Vorbestraften ausgegangen war. Und dann erinnere ich mich an den Schmetterling, den sie sich an ihre Fessel tätowieren ließ. Ich sah ihn gleich, als ich sie das erste Mal sah, wie sie mit einem blutigen Fuß am Strand herumtänzelte. Ich hatte es dann wieder vergessen. Ich fragte mich, welcher Freund sie so betrunken machen konnte, daß sie das hatte machen lassen. Ich lächelte und dachte, daß ich wahrscheinlich auch eine Tätowierung hätte, wenn ich sie damals schon gekannt hätte. Ich fragte mich, wo sie vielleicht noch eine Tätowierung hatte. Ich stand auf und legte Sinead-O’Connor auf, die mich einlullen sollte.
Als das Telefon läutete war Rays Mustang immer noch auf meinem Schoß. Es klingelte von ganz allein und es war doch gar nicht angeschlossen. Ich wurde langsam wach und durchquerte den Raum zu dem Beistelltisch, auf dem mein Telefon stand. Zuerst hörte ich keine Stimme, sondern nur Hintergrundgeräusche. Partygeräusche. Dann sagte jemand: »Smokey.« Es dauerte einen Moment, bevor ich wußte, daß es Patricia war.
Jemand anderes, eine Männerstimme sagte: »Judy — ein Heineken, zwei Becks bitte.«
»Wo bist du?« sagte ich und preßte den Hörer an mein Ohr.
»Ich kann hier schlecht sprechen.« Ich hörte so etwas wie eine Tür, die laut knarrte und eine Männerstimme, die sagte: »Reg’ dich ab, Junge, okay?« Und eine andere Stimme, die fragte: »Wer sagte das?« Und dann entfernten sich die Stimmen, so daß ich sagen konnte, »Ja? Ja? Ich höre dich gut, Patricia.«
»Ich muß dich etwas fragen ...«, sagte sie. Ihre Stimme war leise, so, als ob sie die Hand über die Muschel hielte. Mit ihrer Kleinmädchenstimme funktionierte das nicht so gut, sich verständlich zu machen und gleichzeitig nicht gehört werden zu wollen. Ich strengte mich an, sie zu verstehen. Die Stimmen hinter ihr wurden lauter und vermischten sich. Ich hörte Gelächter und dann : »Jubey, ich hätte gern einen Humpen Faßbier, okay?« Eine andere Stimme sagte: »Pinkel ins Glas, Jubey, der trinkt doch alles,« daraufhin wurde noch mehr gelacht und Patricia versuchte, etwas zu sagen.
»Es handelt sich um Phillip ... «, sagte sie. »Rolands Bruder?«
»Ja, ja, ich weiß, Patricia.«
Sie machte eine Pause. »Er hat etwas angestellt.«
»Was? Was ist passiert?«
»Ich kann nicht reden — «
»Wo bist du?«
»Samantha, es handelt sich um ein kleines Mädchen. Er brachte sie mit, und — «
»Die, die ich bei euch war?«
Sie antwortete nicht.
»Patricia?« Ich konnte nichts Außergewöhnliches mehr hören, aber sie mußte noch in der Leitung sein. »Annabel, Patricia? Ist sie diejenige? Was ist los?«
Sehr schwach hörte ich sie nein sagen.
»Ist jemand da, kannst du deshalb nicht reden?«
»Nein, ich habe nur nicht viel Zeit.«
»Sag mir wo du bist.«
»Du kannst hier nicht hinkommen«, sagte sie flüsternd aber mit Nachdruck. »Ich wollte dir nur sagen, daß es dieses Mädchen gab. Roland mochte sie nicht. Sie — «
Ich wollte sie nicht unterbrechen, aber sie machte immer Redepausen, und ich hatte Angst um sie. »Hör’ zu. Ich muß es wissen, ob es dir gut geht. Sag es mir.«
»Mir geht es gut.«
»Du hörst dich aber nicht gut an.«
»Doch, mir geht es gut. Hör’ zu, ich rufe dich später an. Bist du zu Hause?«
»Ja.« Ich war verwirrt. Jetzt hörte sie sich nicht mehr angespannt an.
»Ich rufe dich bald an. Nicht heute
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