Blutrot wie die Wahrheit
nicht etwa Cecilia?â
âNee, die bestimmt nicht. Die andere, die so lange in Europa war.â
âAh, Emily.â
âGenau, Emily. Ich sagte zu ihr, vielleicht könnte Miss Emily ja bei ihren Eltern ein gutes Wort für sie einlegen, und wenn das auch nichts bringen würde, könnte ich immer noch Mrs. Hewitt um Hilfe bitten, aber Fee wollte nichts davon wissen.â Er schüttelte den Kopf und sah auf einmal ganz alt und grau und sehr erschöpft aus.
âSo wichtig war es Ihnen, dass sie dort nicht arbeitete?â, hakte Nell nach.
âEs war ja nicht nur wegen der Arbeit, sondern wegen ⦠naja, für wen sie arbeitete.â
âFür eine Schauspielerin.â
âEs gefiel mir gar nicht, dass Fee mit solchen Leuten Umgang hatte. Wissen Sie, ich habe immer gewusst, dass ich doch meiner Schwester gegenüber eine Verpflichtung habe, mich um Fee zu kümmern und aufzupassen, damit sie nicht vom rechten Weg abkommt. Und schauen Sie nur, was jetzt passiert ist â¦â Seine Stimme brach. âSie hat eine Kugel in den â¦â Er hielt sich das Taschentuch vor den Mund und war wieder den Tränen nah. âUnd jetzt glaubt man auch noch, dass ⦠Man hält sie für eine Diebin und eine Mörderin und wird sich so an sie erinnern. Heilige Muttergottes, wie hat es nur jemals dazu kommen können?â
Abermals legte Nell ihren Arm um Brady und meinte: âHeute Nachmittag ist eine amtliche Untersuchung angesetzt. Sollte Ihre Nichte unschuldig sein, so â¦â
âSie ist unschuldig! Ich habâ Ihnen doch gesagt, dass sie so was nie hätte tun können.â
âJa, ich weiÃ. Ich habe mich falsch ausgedrückt.â Sie versuchte, sich ihre Zweifel nicht anmerken zu lassen und zuversichtlich zu klingen. âDie Geschworenen werden sich den Tatbestand ganz genau ansehen, und wenn sie zu dem Schluss kommen, dass es kein versuchter Raub war, werden sie Fee von allen Anschuldigungen freisprechen.â
âIhr Name ist schon längst in den Schmutz gezogen worden â vorn auf der Titelseite, unter einer riesigen Schlagzeile, die selbst ein Blinder noch lesen konnte. Wie will man das denn wiedergutmachen? Und warum sollte das überhaupt jemanden interessieren? Denen da oben ist sie doch egal ⦠nur irgendein irisches Dienstmädchen. Sie wissen ja, was man hier von uns hält. Wir sind für die doch nur Abschaum, fremdes Pack. Denen fällt es im Traum nicht ein, an Fees Schuld zu zweifeln â da können Sie drauf wetten.â
Darauf wusste Nell leider auch nichts zu erwidern, denn wahrscheinlich hatte Brady recht.
Das Kinn kämpferisch vorgereckt, schüttelte er dennoch betrübt den Kopf. âSeit mehr als zwanzig Jahren lebe ich jetzt schon in dieser Stadt, und in all der Zeit hat sich für uns nichts geändert. Sieht eher so aus, als würdâ es immer schlimmer, je mehr von uns rüberkommen. Die Stadträte, die Verwaltung, die Polizei sind doch alle nur drauf aus, uns einzuschüchtern und kurz zu halten. Manchmal fragâ ich mich ja schon, was ich hier eigentlich soll und warum ich nicht einfach in der alten Heimat geblieben bin.â
âWeil es dort nichts zu essen gabâ, erinnerte sie ihn und gab ihm einen beschwichtigenden Klaps auf den Rücken. âUnd so schlimm, wie Sie sagen, ist es gar nicht. In der Stadtverwaltung sitzen durchaus auch einige Iren, und ich kenne sogar einen bei der Polizei.â
âEinen irischen Polizisten? Glaubâ ich nicht.â
âEr heiÃt Colin Cookâ, erwiderte sie. âMan hat ihn für die Wache in Fort Hill angeheuert.â
âAch so ⦠damit er dort die andern Iren in Schach hält, was?â
âGenau. Aber mittlerweile ist er befördert worden und bei der Kriminalpolizei im Rathaus. Er hat es jetzt mit Fällen aus dem gesamten Stadtgebiet zu tun.â
âEin Detective, alle Achtung.â Als er sich zu ihr umdrehte, blitzten seine Augen, und zum ersten Mal an diesem Morgen erinnerte er sie wieder an den Brady, der ihr vertraut war. âWie gut kennen Sie den Burschen denn?â
âGut genug, um ihn für einen Freund zu halten.â
âEin Detective ist ja schon was anderes als ein Constableâ, sinnierte Brady. âDie klären doch auch Raubüberfälle und Morde und so was auf, oder?â
âJa, aber Cook ist nur einer von acht oder zehn
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