Blutrot wie die Wahrheit
Männer Bostons, betrieb gemeinsam mit August Hewitts bestem Freund Leo Thorpe eine Anwaltskanzlei.
Brady nickte. âBei denen hat sie angefangen. Als ihre Eltern gestorben sind, habâ ich sie da als Zimmermädchen untergebracht. Auch schon lange her, 1863 war das. Oder besser gesagt, Mrs. Hewitt hat ihr mir zuliebe die Stelle besorgt. Sie ist eine wirklich wunderbare Dame mit einem groÃen Herzen. So was findet man in den höheren Schichten nicht mehr oft.â
âDas stimmt allerdings.â
Zitternd holte Brady tief Luft und atmete dann langsam wieder aus. âFee ist mit den Pratts aber nie gut zurechtgekommen. Meinte, die würden zuviel von ihr erwarten.â
âIm Hinblick auf das Arbeitspensum â¦?â
âDas auch, und dann, wie sie sich zu verhalten hätte â selbst wenn sie frei hatte.â
âDaran ist aber nichts Ungewöhnlichesâ, wandte Nell ein, âvor allem bei einer Familie, die gesellschaftlich so hoch angesehen und bedeutend ist.â
Brady blickte düster zu Boden und rieb sich das Kinn. âAye, aber Fee hatâs eben nicht gefallen.â Er runzelte die Stirn. âWissen Sie, meine Schwester und ihr Mann waren ganz einfache und unkomplizierte Leute. Fee hat nie richtig gelernt, sich anzupassen. Sie war beileibe kein schlechtes Mädchen, ganz gewiss nicht, aber sie mochte einfach nicht so tun, als ob sie was wärâ, was sie nicht ist.â
Nell nickte unverbindlich. Sie wusste allzu gut, wie es war, eine Rolle spielen zu müssen, und es bekümmerte sie sehr, dass dieser grundehrliche Mann, mit dem sie sich so gut angefreundet hatte, nicht die geringste Ahnung hatte, wer und was sie in früheren Jahren gewesen war. Will Hewitt war der Einzige â der Einzige in Boston, wohlgemerkt â, der davon wusste.
âFee hat es nie gemocht, Dienstmädchen zu seinâ, fuhr Brady fort. âSie wollte ein Kurzwarengeschäft aufmachen.â
âIm Ernst?â
âOh ja, sie hat ihren ganzen Lohn dafür gespart. Viel warâs ja nicht. Die Pratts haben ihr nur anderthalb Dollar die Woche gezahlt. Gott weiÃ, wie lange sie da hätte sparen müssen, aber sie war nicht davon abzubringen. Das hatte ihr schon immer gefallen, schöner Tand und Firlefanz. Bänder und Spitzen ⦠Handschuhe und Sonnenschirme, Hauben und Hüte ⦠Sie wollte auch Meterware verkaufen und ich glaube auch Schreibpapier und so was. Immer wieder und wieder hat sie davon geredet, aber ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Wahrscheinlich habâ ich gar nicht richtig zugehört, weil ich mir dachte, das klappt ja sowieso nichâ.â Er schloss die Augen und rieb sich das Gesicht.
âUnd wann hat sie angefangen, für Virginia Kimball zu arbeiten?â, erkundigte sich Nell.
Brady drehte und wendete das feuchte Taschentuch in den Händen. âErst vor drei Wochen. Manchmal habâ ich sie ja sonntags im Pearsonâs auf einen Tee getroffen. Es war der erste Sonntag im Mai, als sie mir gesagt hat, dass Mrs. Kimball sie von den Pratts abgeworben hätte.â
âAbgeworben? Als Zimmermädchen?â, fragte Nell ein wenig verwundert.
âAls Mädchen für alles. Es gab da keine anderen Dienstboten â nur sie.â
âOh je.â
âJa, dachte ich auch und habâ sie gleich gewarnt, auf was sie sich da einlässt. Ich habâ zu ihr gesagt, wenn es ihr schon bei den Pratts zuviel war, dann soll sie erst mal abwarten, bis sie alles allein machen müsste. Aber sie meinte, das sei es ihr wert, denn immerhin würde sie ja für Mrs. Kimball auch als Kammerzofe arbeiten, und da könne sie bestimmt einiges lernen, was sie für ihren Kurzwarenladen gebrauchen könnte. Und auÃerdem würde sie bei ihr jetzt ganze zwei Dollar die Woche bekommen, weshalb Fee sich ausrechnete, dass sie den Laden entsprechend eher aufmachen könnte. Oh, und ein eigenes Zimmer hätte sie auch. Sie hatte es immer ganz schrecklich gefunden, sich mit all den andern Mädchen die Dachstube der Pratts teilen zu müssen. Alles in allem gesehen würdâ sichâs aber gewiss nicht lohnen, habâ ich ihr gesagt und sie gebeten, zu den Pratts zurückzugehen, falls die sie noch nehmen würden. Eine der Pratt-Töchter hatte ihr ja geholfen, die Stelle zu bekommen und â¦â
âEines von den beiden Pratt-Mädchen?â, fragte Nell. âDoch
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