Blutrot wie die Wahrheit
Monat nicht auch bei dieser reizenden Dinnerparty auf der Yacht der Cabots?â
âNein, Maâamâ, erwiderte Nell. âWir haben zwar schon einmal zusammen zu Abend gegessen, aber das ist schon anderthalb Jahre her und war bei den Hewitts. Ich bin ihre Gouvernante.â
âAh ja.â Die beleibte Mrs. Pratt schaute Nell aus verwirrt blinzelnden Augen an. âWas Sie nicht sagen. Ja ⦠ja, natürlich. Jetzt erinnere ich mich wieder. Miss â¦?â
âSweeney. Nell Sweeney.â
âMiss Sweeney. Natürlich. Aber natürlich! Wie dumm von mir, das zu vergessen. Ich habe wohl wirklich ein Spatzenhirn, wie Mr. Pratt immer sagt. Ja, wohl wahr.â Mrs. Pratts Blick fiel auf Wills Hand, die noch immer Nells Arm umfasst hielt. Ihr Lächeln war bemüht, ihre Augen wissend. âNun, welch eine Freude, Sie beide wieder einmal gesehen zu haben, auch wenn die Umstände ja eher betrüblich sind. Ich nehme an, dass Sie Mrs. Kimball ⦠ähm ⦠wohl kannten?â, erkundigte sie sich und schaute sie abwechselnd fragend an.
âIch kannte sie vor einigen Jahrenâ, sagte Will.
âSo?â Winifred Pratts eben noch so bemühtes Lächeln wurde nun leicht süffisant. Da sie gut mit den Hewitts befreundet war, wusste sie gewiss auch von Wills Faible für Schauspielerinnen. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, meinte sie mit ernster Miene: âEine schreckliche Sache, ganz schrecklich, was da mitten in Beacon Hill passiert ist. Mittlerweile ist man ja leider daran gewöhnt, mit derlei Dingen in ⦠nun ja, in bestimmten Gegenden zu rechnen. Aber hier bei uns, in Beacon Hill?â
âDas ist wahrâ, erklärte Will diplomatisch.
âAber Beacon Hill ist eben auch nicht mehr das, was es einmal warâ, fuhr sie fort. âUnd nicht nur wegen der schrecklichen Sache, die Mrs. Kimball zugestoÃen ist. Neulich Abend erst ist mein Mann nur wenige StraÃen von unserem Haus in der Beacon Street von StraÃengesindel belästigt worden, das eigentlich nur aus ⦠eigentlich kann ich mir nur denken, dass solche Leute aus dem North End hierher kommen oder vielleicht aus Fort Hill. Mr. Pratt hat seine Brieftasche natürlich nicht hergeben wollen, und da geht dieser Schurke doch tatsächlich mit seinem Knüppel auf ihn los! Hast du sein Auge gesehen? Das hast du doch gesehen, oder?â
âHabe ichâ, versicherte William ihr. âIch finde, es lässt ihn irgendwie verwegen aussehen.â
âOh, mein lieber Williamâ, kicherte sie. âDu bist noch immer so ein durchtriebener Schlingel wie früher! Darf ich denn hoffen, dass du nun in Boston bleibst? Deine werte Mama würde sich so darüber freuen.â
Er zögerte, und Nell spürte, wie seine Finger sich einen Moment lang fester um ihren Arm schlossen. âWir werden sehen, was die Zukunft bringt.â
âOh! Da habe ich gleich eine ganz wunderbare Idee.â Mrs. Pratt gab Will mit ihrem Fächer einen Klaps auf die Brust. âDu musst morgen Abend zu uns zum Essen kommen. Mr. Pratt hat nämlich irgendeinen Mandanten eingeladen, dem er gestern zufällig über den Weg gelaufen ist, und da wüsste ich nicht, warum er dich nicht ebenfalls einladen kann. Zumal, da deine Eltern und Harry auch kommen.â
âWas Sie nicht sagen.â
âAber ja, und Martin kommt natürlich auch, wenn er nicht zuviel lernen muss â du weiÃt ja, wie er ist. Immer den Kopf in irgendwelchen Büchern. Ich hoffe aber sehr, dass er kommt. Er und Emily haben sich ja so gut verstanden, als sie noch klein waren. Meinst du nicht auch, dass die beiden wie füreinander geschaffen sind?â
âÃh â¦â
âOh, du musst kommen! Es wäre herrlich, alle Hewitts wieder einmal gemeinsam an einem Tisch versammelt zu sehen. Und ich würde gewiss vor Enttäuschung sterben, wenn du nicht dabei wärst.â
âNun, darauf wollen wir es natürlich nicht ankommen lassenâ, meinte Will trocken. Und zu Nells ungläubigem Entsetzen, bedachte man, wie sehr er sich mit seiner Familie entzweit hatte, fügte er hinzu: âEs macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich Miss Sweeney mitbringe, oder?â
Sowohl Nell als auch Winifred Pratt starrten Will einen qualvoll sich hinziehenden Augenblick lang an. âAber ⦠nein. Nein, ganz und gar nichtâ, erwiderte Mrs. Pratt schlieÃlich, ihr Lächeln
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