Blutrot wie die Wahrheit
wieder fest im Gesicht verankert. âNatürlich nicht. Eine wunderbare Idee. Ganz wunderbar. Wollen wir um sieben Uhr sagen?â
âAber gern dochâ, meinte Will.
âJa, gut. Sehr gut. Ich ⦠äh ⦠verabschieden werden wir uns ja gewiss später. Sie kommen doch auch beide noch mit zur Beerdigung, oder?â
âLeider neinâ, erwiderte Will rasch, bevor Nell die Frage bejahen konnte. âMiss Sweeney fühlt sich unwohl. Die Hitze, müssen Sie wissen.â
âOh je! Sie Arme, aber natürlichâ, meinte Mrs. Pratt und lieà ihren Fächer abermals aufflattern. âIst es denn zu glauben? Diese entsetzliche Hitze. Nun denn. Wie erfreulich, Sie beide wieder einmal gesehen zu haben. Wirklich sehr erfreulich. Bis morgen dann.â
Sie wandte sich bereits ab, während Will sich noch verbeugte und ihr versicherte: âDie Freude ist ganz unsererseits.â
âErwarte bitte keinen Dank dafür, dass du für mich gesprochen hastâ, lieà Nell ihn wissen, sobald Mrs. Pratt auÃer Hörweite war. âEs war durchaus meine Absicht, mit auf den Friedhof zu gehen. Ich hatte bislang nämlich noch keine Gelegenheit, mit Mr. Pratt oder mit Maximilian Thurston zu sprechen. Oder â¦â
âEs sollte nicht allzu schwierig sein, ein andermal mit Mr. Thurston ins Gespräch zu kommen, scheint er die Kunst der Konversation doch sehr zu lieben. Und was Orville Pratt anbelangt â morgen Abend bist du ja bei ihm zu Gast und kannst dann mit ihm reden.â
Während sie zuschaute, wie der Kutscher der Pratts seiner korpulenten Herrin in den eleganten Landauer half, fragte Nell: âWas hast du dir eigentlich dabei gedacht, sie zu fragen, ob ich auch kommen könne?â
âKann Miss Parrish es nicht übernehmen, Gracie morgen Abend ins Bett zu bringen?â
âDas meinte ich nicht. Bist du dir gar nicht bewusst, wie das aussieht?â, fragte sie ihn. âAlle werden denken, ich wäre deine ⦠dass wir â¦â
Will schüttelte den Kopf und lächelte milde. âMeine arme Cornelia, wie konventionell du doch bist. Immer noch um die Meinung anderer besorgt.â
Mit einem tiefen Seufzer meinte sie: âGenau davon sprach ich vorhin. Du hast an deinen Ruf nie einen Gedanken verschwendet, weshalb du überhaupt nicht zu begreifen scheinst, wie wichtig mein guter Ruf für mich ist â was alles davon abhängt.â
âNell, die Gerüchte, um die du dich sorgst, sind nur entstanden, da die Leute glauben, wir würden uns deshalb auf so verstohlene Weise treffen, weil wir eine heimliche Beziehung unterhalten, die von, nun ja, sagen wir mal unkeuscher Natur ist. Aber wenn ich dich ganz offen hofieren würde â¦â
âMich hofieren?â Hofiert zu werden schloss die Aussicht auf Heirat zumeist mit ein, was für Nell indes völlig ausgeschlossen war, hatte sie doch bereits mit sechzehn einen charismatischen HeiÃsporn geheiratet, der zur Zeit die ersten neun Jahre einer dreiÃigjährigen Haftstrafe verbüÃte, die ihm ein bewaffneter Raubüberfall mit schwerer Körperverletzung eingebracht hatte. Duncan Sweeney geheiratet zu haben, war wohl der gröÃte Fehler ihres Lebens â nicht nur, aber auch â, da Nell schon vor geraumer Weile erfahren hatte, dass die Kirche eine Annullierung der Ehe ablehnte. Und eine Scheidung kam für sie nicht in Betracht, da ihr bei erneuter Heirat die Exkommunikation drohte. Und so blieb Nell nur, weiterhin die Ehefrau eines verurteilten Verbrechers zu bleiben und dieses Geheimnis gut zu wahren, während man sie in Boston, von Will einmal abgesehen, für eine gottesfürchtige irische Katholikin hielt, eine junge Dame mit makelloser Vergangenheit.
âWas ich damit sagen willâ, meinte er, âist, dass ich so tun würde, als hofierte ich dich. Wir könnten zusammen gesehen werden, so oft es uns gefiele, ohne dass jemand daraus falsche Schlüsse zöge. Oder besser gesagtâ, fügte er hinzu, als Nell ihn gerade auf das doch wohl Offensichtliche hinweisen wollte, âsie würden daraus natürlich falsche Schlüsse ziehen, aber eben nur solche, die wir ihnen nahelegen. Wir könnten gemeinsam zur Dinnerparty der Pratts gehen oder zu irgendeiner anderen Veranstaltung und bräuchten uns nicht länger um das Getuschel der Leute zu scheren. Wir könnten uns zusammen in der
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