Blutrot wie die Wahrheit
Ãffentlichkeit zeigen, so oft wir wollten und müssten uns nicht um deinen guten Ruf sorgen. Niemand wird dich schief ansehen, wenn alle denken, ich mache dir offen und ehrlich meine Aufwartung.â
âEin Hewitt, der mir seine Aufwartung macht?â, wandte sie ein. âIch glaube, dafür würden mich einige Leute sehr schief ansehen.â
âNun komm schon, bestimmt hast du auch wenigstens einen dieser geistlosen Gouvernantenromane gelesen. Endet es denn nicht immer damit, dass sich die Heldin am Ende mit dem Sohn ihres Dienstherrn verheiratet?â
âOder aber mit jemandem, der noch viel reicher und bedeutender istâ, ergänzte sie, denn natürlich hatte sie als junges Mädchen auch eine Phase gehabt, in der sie derlei Bücher geradezu verschlungen hatte. âAber die Gouvernanten in diesen Romanen stammen ausnahmslos alle aus denselben gesellschaftlichen Kreisen wie die Familien, in denen sie angestellt sind. Es sind wohlgeborene junge Damen in finanzieller Bedrängnis â nicht irgendwelche armen irischen Mädchen, denen der Zufall unverschämt viel Glück beschert hat. Wir beide â¦â Sie schüttelte den Kopf. âDas glaubt uns niemand.â
Ein kurzes Knallen von Zügeln erklang, gefolgt vom Geklapper der Pferdehufe auf dem granitenen Pflaster. Sie drehten sich beide um und sahen, wie sich der Trauerzug die Arlington Street hinabbewegte und hinter der nächsten StraÃenecke verschwand. Als Nell wieder zu Will sah, schaute er sie mit jener ihm eigenen ruhigen Eindringlichkeit an.
âNatürlich wird man uns glaubenâ, entgegnete er zuversichtlich. âDu solltest wissen, dass du weithin bewundert wirst, und zwar nicht nur von meiner Mutter. Niemand hält dich nur für irgendein armes irisches Mädchen, das sein Glück gemacht hat.â
âDein Bruder Harry schon.â
Will lächelte. âSagt er. In Wahrheit schüchterst du ihn ganz schön ein.â
Nell stieà ein ungläubiges Lachen aus.
âNein, im Ernstâ, meinte Will. âBislang hat noch jede Begegnung mit dir â oder mit jemand, dem dein Wohlergehen am Herzen liegt â ihm mindestens eine neue Narbe eingebracht. Er weià ganz genau, dass er dir nicht gewachsen ist. Das würde er zwar niemals zugeben, aber insgeheim weià er es.â
âDass er dir nicht gewachsen ist, meinst du wohl.â Denn sie hatte es vor allem Will zu verdanken, dass Harry sie in letzter Zeit mehr oder minder in Ruhe gelassen hatte. Höchst aufgebracht darüber, dass Harry letztes Jahr versucht hatte, Nell zu nötigen, hatte Will seinem Bruder nicht nur ein blaues Auge und eine gebrochene Nase verpasst, sondern ihm auch gedroht, ihm beide Arme zu brechen, sollte er Nell jemals wieder zu nahe kommen â eine Drohung, die ihre Wirkung bislang nicht verfehlt hatte.
âHarry wird morgen Abend auch bei den Pratts seinâ, sagte sie. âIch kann dir versichern, dass ich herzlich wenig Lust auf seine Gesellschaft verspüre.â
âUnd ich wage zu behaupten, dass es ihm ganz genauso ergeht. Wahrscheinlich wird er dich nicht einmal eines Blickes würdigen.â
âDeine Eltern werden auch dort seinâ, fuhr sie beharrlich fort. âEs überrascht mich, dass du auf einmal bereit bist, einen ganzen Abend mit ihnen zu verbringen.â
âIch werde ihnen kaum für immer aus dem Weg gehen können, und deine Anwesenheit macht es mir erträglicher, mit ihnen zusammen zu sein.â
Einen Moment sah Nell beiseite, da sie fürchtete, er könne ihr sonst anmerken, wie sehr es sie freute, dass ihre Gesellschaft ihm so viel bedeutete. âIch verstehe aber noch immer nicht, warum du das alles tustâ, meinte sie. âDu findest derlei Abende grässlich, du magst die Pratts nicht sonderlich, du findest deine Eltern unerträglich, du hast es längst aufgegeben, aus Harry einen besseren Menschen machen zu wollen â¦â
âMeinen kleinen Bruder Martin mag ich aber eigentlich ganz gern.â
âDann könntest du dich ebenso gut auch nur mit ihm treffen.â
âOh, das tue ich sogar. Wenn ich in der Stadt bin, essen wir manchmal in Cambridge zusammen zu Mittag.â
âWarum dann also überhaupt zu dieser Dinnerparty gehen?â, wollte sie wissen.
âVielleicht, weil du mich davon überzeugt hast, dass ich es Mrs. Kimball schuldig bin, die Wahrheit über ihren
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