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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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du mir das wirklich nehmen?“
    â€žWürdest du mir Gracie nehmen wollen?“, erwiderte sie verzweifelt. „Denn genau das wird geschehen, wenn ich wegen dieser Gerüchte, die dich so überaus amüsieren, meine Anstellung verliere.“ Mit etwas sanfterer Stimme fügte sie hinzu: „Es tut mir leid, Will. Ich … mir bedeuten diese Nachmittage auch sehr viel … mehr als du ahnst, aber …“ Hilflos zuckte sie die Schultern.
    Will nahm Nell beim Ellenbogen und zog sie ein wenig beiseite, als nun der Sarg aus der Kirche herausgetragen wurde. Die Sargträger blinzelten, von dem hellen Sonnenlicht geblendet, nur der alle um Haupteslänge überragende Orville Pratt mit seinem silbergrauen Haar schaute mit finsterer Miene starr geradeaus, seine Augen klar und kalt wie Gletscherseen. Er hat ja Schmutz im Gesicht, dachte Nell entgeistert, bis sie jäh erkannte – und dies schockierte sie fast noch mehr –, dass es ein Bluterguss war, der sein linkes Augenlid und die Haut über dem Wangenknochen in ein schwaches, fleckiges Violett färbte. Die Verletzung mochte, der Verfärbung nach zu urteilen, wohl zwei oder drei Tage alt sein. Manch anderer Gentleman würde mit einem blauen Auge gewiss auch ein eher klägliches Bild abgegeben haben, doch Orville Pratt ließ es nur noch imposanter erscheinen.
    Hinter dem Sarg traten die Damen Pratt aus der Kirche. Winifred, das schweißnasse Gesicht unter der schwarzen Kräuselhaube weiß und aufgedunsen wie ein Hefekloß, fächelte sich noch immer wie wild Luft zu, während Cecilia sichtlich vergnügt mit ihrer Schwester und der älteren Dame plauderte. Letztere, hager und mit knochenbleichem Gesicht, schien indes tief in Gedanken versunken, während sie den Männern dabei zusah, wie sie den schweren Sarg die Treppe hinunterschleppten.
    â€žTante Vera!“, fuhr Cecilia sie an. „Du hörst mir ja gar nicht zu!“
    â€žEntschuldige, Liebes. Was sagtest du doch gleich?“
    Nell konnte ihren Blick kaum von Emilys Kleid abwenden. Ein schlichtes, form- und schmuckloses Gewand, an der Taille lose gebunden, war es Mrs. Kimballs mittelalterlich inspiriertem Totenkleid nicht unähnlich, wenngleich weiter und wallender und aus fließendem schwarzen Webstoff. Der weich fallende Rock ließ keinen Zweifel daran, dass sich keine formgebende Krinoline darunter befand, und das blusig flatternde Oberteil und die sich darunter abzeichnenden Konturen machten auch ein Korsett höchst unwahrscheinlich. Cecilia hingegen trug jene geschnürte Taille zur Schau, die ein Mann mit beiden Händen umfassen konnte, wobei sich aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch seine Fingerspitzen berühren würden. Zu einer großen Rubinbrosche hatte sie die passenden Ohrringe angelegt, womit sie nicht nur gegen die dem Begräbnis angemessene Etikette verstieß, sondern auch jenes ungeschriebene Gesetz missachtete, nach dem man Schmucksteine nicht zur Tagesgarderobe trug.
    Cecilia, Emily und Tante Vera schritten gemeinsam die Stufen vor der Kirche hinab und sahen zu, wie der Sarg mühsam auf den Leichenwagen gehoben wurde. Ihre Mutter wollte sich gerade zu ihnen gesellen, als sie einen kurzen Blick zur Seite warf und Will entdeckte. „William? William Hewitt?“ Sie legte den Fächer an ihre zu einem massigen Wulst geschnürte Brust und schaute fragend zu Will auf, der sie um einiges überragte.
    â€žSchuldig“, bekannte Will, zog seinen Hut und verneigte sich leicht. „Wie schön, Sie wiederzusehen, Mrs. Pratt.“
    â€žAch, du liebe Güte!“, rief sie mit hell zwitschernder Stimme. „Ja, ist es denn zu glauben? Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich dich das letzte Mal gesehen habe.“
    â€žEs müsste an Weihnachten ’63 gewesen sein“, meinte er.
    â€žStimmt“, sagte sie. „Stimmt genau. Deine Eltern hatten uns zu sich eingeladen, zusammen mit den Thorpes. Du hattest Urlaub von der Armee, du und … Robbie.“ Ihr Lächeln schwand jäh dahin. Nell wusste, dass dies Robbies letzter Besuch zu Hause gewesen war.
    Sollte Will die Erinnerung an seinen verstorbenen Bruder traurig stimmen, so ließ er es sich nicht anmerken. Mit einem Blick zu Nell fragte er. „Kennen die Damen einander bereits?“
    Winifred Pratt betrachtete Nell mit einem Blick vagen, verwunderten Wiedererkennens. „Waren Sie letzten

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