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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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dann dachte sie abermals an Lázlo, an ihren dünnen Ritter mit dem bleichen Gesicht und den melancholischen Augen.
    »So ein kleiner Wichser!«, rief sie dem Fluss zu – die Donau würde das sicher verstehen, schließlich war sie ja weiblich. Lena überquerte eine dieser verfluchten Schnellstraßen, die sich ganz unromantisch am Wasser entlangzogen, kam an der nächsten Brücke, der Kettenbrücke, vorbei und schaute neidisch auf ein Paar, das ihr eng umschlungen entgegenkam. Aber langsam beruhigte sie sich. Das Glitzern der Stadt um sie herum, das freundliche Plätschern von Frau Donau, die frische Luft der Nacht halfen dabei. Da mischte sich ein neues Geräusch in die Motoren der Autos und in das Lachen der Nachtschwärmer, ein Laut, den Lena wiedererkannte: Flapp-flapp und ein leises Sirren. Sie schaute hinauf in die Nacht, sah ein paar wenige Sterne, die es schafften, gegen die Christbaumbeleuchtung Budapests anzufunkeln. Und dann einen fliegenden Schatten. Einen Vogel, groß wie ein Schwan, majestätisch wie ein Adler, aber mit einem langen Hals wie ein Geier. Wie hatte Lázlo ihn genannt? Turul. Von wegen mythischer Sagenvogel. Der Vogel schien in einem weiten Oval über der Donau zu kreisen, über ihr. Natürlich konnte sie ihn in der Dunkelheit nicht genau erkennen, vielleicht war es ja doch nur ein großer Reiher oder zum Kuckuck was. Das Tier drehte ab und ließ wie zum Abschied einen Schrei erklingen. Als der tief vibrierende, musikalische Pfiff durch die Nacht hallte, fiel Lena plötzlich etwas ganz anderes ein. Was hatte Lázlo zum Schluss gesagt? Die Fete Sepete? Ferkel Sareng? Warum zum Teufel musste Ungarisch so eine Kauderwelsch-Sprache sein? Sie konnte sich nicht genau an die zwei Worte erinnern, glaubte aber, dass der Kommissar im Polizeipräsidium die gleichen benutzt hatte. »Sagt Ihnen der Name etwas«, hatte er die Höhlengruppe gefragt. Blödsinn, dachte Lena, das konnte nicht sein. Aber F. S., das stimmte, denn diese Buchstaben hatte sie sich gemerkt. Frederike Selters, so hieß ihre beste Freundin in Wien, und auf den Zetteln, die sie sich in langweiligen Schulstunden immer hin und her schoben, unterschrieb Frederike immer so: F. S. Doch, danach hatte der Polizist gefragt. Aber Fetärätä Irgendwas?
    Lena spürte einen Schauer, der über ihren Nacken kroch. Und das kam nicht mehr vom regenassen Stoff, den die warme Luft doch endlich fast getrocknet hatte. Nein, das konnte wahrlich nicht sein. Lázlo hatte mit so etwas bestimmt nichts zu tun.
    Oder doch?
    23.23 Uhr, Burgberg, Tunnelanlage
    Lázlo konnte es nicht glauben: Sie taten es tatsächlich. Neben ihm saßen Frosch, Janosch und ein dicker Junge, wobei Lázlo nicht sicher war, ob der nun Fett oder aufgepumpte Muskeln mit sich herumtrug. Vorne stand André und gab den Lehrer. Lázlo kam sich wirklich vor wie in einer Schulstunde. Das Fach: Bombenbau.
    »Das hier«, erklärte André und hielt den Rest einer Digitaluhr hoch, »ist der Timer. Ich zeige euch jetzt, wie man ihn an- und wieder ausschaltet. Obwohl Letzteres …«, er grinste wölfisch, »… wohl kaum notwendig sein wird.«
    Nein, Lázlo konnte es nicht fassen. Sie saßen hier wie in einem Klassenraum und konstruierten Sprengkörper. Bauten Bomben zusammen wie andere Kids Häuser aus Legosteinen. Seine Kopfschmerzen pochten mit neuer Kraft, seine Augen tränten. Er schüttelte sich und versuchte Andrés Ausführungen zu folgen. Keine Zweifel, Lázlo, hatte Holló gesagt. Nur eines ist wichtig: Ungarn. Ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit. Jede Revolution muss Gewalt benutzen – es geht nicht anders.
    Lázlo schnappte sich Zünder und Schraubenzieher und fing an, nach Andrés Anweisungen Drähte zu verschrauben.

14
    Donnerstag, 18. August
    1.08 Uhr, Burgberg, Tunnelanlage
    Zwei Stunden wurden sie dressiert, zwei Stunden erlernten sie den Umgang mit Sprengsätzen.
    Kurz vor ein Uhr in der Nacht streckte sich André und sagte: »Das war’s. Ein guter Anfang, findet ihr nicht?«
    »Auf in die Freiheit«, riefen die Jungs.
    Erst als Lázlo die Gänge unter der Burg verlassen hatte und die Nachtluft einatmete, dachte er wieder an Lena. Sah ihr Gesicht vor sich, ihr Lächeln, ihre Augen – und den Körper natürlich, nass vom Regen, schimmernd und feucht. Er kramte in seiner Jeans nach dem Schlüssel für das Mofa. Als er ihn aus der Hosentasche zog, fiel etwas anderes heraus. Ein Zettel. Lázlo faltete ihn auseinander, musste aber erst das Mofa starten, bevor er im Licht des

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