Blutrotes Wasser
berühmteste Höhlentaucherin der Welt zu werden. Jetzt brach ihr der Schweiß aus, wenn sie nur eine Tauchermaske sah. Und zum ersten Mal hatte sie überlegt, ob sie nicht doch etwas ganz anderes wollte.
»Nicht sicher«, wiederholte sie murmelnd. Seltsam, o ja. Sie war wie eine Lokomotive von ihren wunderschön geraden Gleisen gehüpft und pflügte jetzt schlängelnd landeinwärts. Aber wohin?
»Wie geht es deinem Kavalier?«, fragte Éva.
Lena lächelte müde. Das war auch so ein Fall. Lázlo, der ihr Herz dazu brachte, zu stottern wie ein absaufender Motor. Lázlo, der so melancholisch und traurig wirkte, aber plötzlich austicken konnte, wenn man ein halbes Wort gegen sein Ungarn riskierte. Lázlo, über den sie so wenig wusste.
»Mit dem gehe ich heut Abend auf ein Konzert«, erklärte Lena schließlich und begegnete Évas schelmischem Blick. »Ich möchte drei Astern kaufen bitte.«
»Aber natürlich.« Eva suchte die schönsten aus ihrem Eimer heraus. »Und vielleicht lernst du ja, ihren Duft irgendwann zu schätzen.«
21.18 Uhr, Margareteninsel auf der Donau
»Hübsch«, nickte Lena und tastete nach Lázlos Hand. Obwohl es schon nach neun war, leuchtete noch ein roter Rest Sonnenlicht am Himmel. Die Dämmerung war feurig, die Nacht mild und schwül – so wie seit Wochen in Budapest. Sie hatten sich über die Margaretenbrücke bis zur Margareteninsel * vorgearbeitet, was nicht leicht war: Auch abends flanierten die Menschen durch die Stadt, und die Brücke war eine einzige Baustelle: Abgesperrt mit Drahtzäunen konnten kaum zwei Leute nebeneinandergehen – im Gänsemarsch drängte man sich aneinander vorbei. Aber es hatte sich gelohnt: Die große Insel inmitten der Donau war grün und frisch, hier gab es Brunnen und Rosenbeete, Fahrradrikschas zum Mieten, ein Freibad, das aber schon geschlossen hatte, alte Bäume und viele Wiesenstücke. Auf einem davon hatte man den Sommer über eine Bühne aufgebaut und veranstaltete Open-Air-Konzerte. Heute war hier eine Band, die ungarischen Pop spielte, nicht zu heavy, nicht zu sanft. Genau richtig, wie Lena fand. Lázlo hatte eine Decke mitgebracht und sie abseits der begeisterten Zuhörer ausgebreitet. Sie lagen nebeneinander, lauschten der Musik, schauten in den Himmel, beobachteten den Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit und spürten ihre Körper nebeneinander. Ein Duft nach Bratwürsten und schweren Blüten hing in der Luft, eine laue Sommerbrise umschmeichelte sie, das Lachen und Grölen der Zuschauer klang fröhlich, die Musik nicht zu laut – all das lullte Lena langsam ein. Sie kuschelte sich an Lázlo, vergaß ihre Tauchangst, vergaß ihre Suche. Schlief ein.
Lázlo rührte sich nicht. Er betrachtete Lenas Haare, Lenas Rücken, Lenas Hände. Ihren Po in der Jeans, aus der ein winziges Stück Slip hervorragte. Ihre Beine, ihre Füße. Und wieder von vorne: Haare, Rücken, Hände … Nein, er bewegte sich nicht. Lázlo spürte ihre Wärme, spürte die Bewegung in Bauch und Schultern, wenn sie atmete. Um nichts in der Welt hätte er sich jetzt rühren wollen – aus Angst, sie aufzuwecken. Lena schlief und er wachte über sie. Wagte nicht einmal, sie zu streicheln, sie zu berühren. Sie schlief an ihn gedrängt, sie vertraute ihm, mochte ihn. Sein Arm schlief ein, es störte ihn nicht. Er wachte und schaute. Auch als ein Donner über den Himmel rollte und krachend Gewitter ankündigte, zuckte Lázlo mit keinem Muskel. Die ersten Regentropfen versuchte er aufzufangen, wollte sie fortscheuchen wie einen Schwarm Fliegen. Musste es ausgerechnet jetzt regnen? In diesem magischen Augenblick?
Musste es. Lena schlug die Augen auf und räkelte sich.
»Es regnet«, sagte sie.
»Brillant kombiniert«, meinte Lázlo und versuchte ihr Gesicht zu erkennen. Mittlerweile war es längst dunkel geworden. »Komm, bevor hier eine gar schreckliche Panik losbricht.«
»Na, dann rette mich mal.« Gähnend rappelte sie sich auf.
Aber der Regen war schneller: Es prasselte los, als wäre der ganze Himmel eine einzige Gießkanne. Lena jauchzte und Lázlo packte sie an der Hand. Nebeneinander liefen sie über die Wiese; Lena hatte sich erst gar nicht die Mühe gemacht, in ihre Latschen zu schlüpfen, und quatschte barfuß neben ihm her. Lázlo hielt die Decke schützend über sie ausgebreitet, aber das nützte nichts. Binnen Sekunden waren sie durchnässt. Warmer Sommerregen. Donner applaudierte den Gewitterblitzen. Lázlo führte sie zu einer kleinen Hütte, sie drängten
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