Blutsauger
er verheiratet war, hielt die Verehrerinnen in den seltensten Fällen davon ab, ihm ihre Zuneigung mehr oder weniger aufdringlich zu zeigen. Und plötzlich musste Salbaisi an eine Bemerkung denken, die Ambulanzschwester Brigitte erst kürzlich gemacht hatte: »Mit dem wird’s noch mal ein schlimmes Ende nehmen.« Salbaisi versuchte, diese Erinnerung zu verdrängen, stülpte sich frische Gummihandschuhe über und merkte, wie er für ein paar Sekunden nicht mehr dem Geschehen um sich herum folgen konnte. »Schlimmes Ende nehmen«, hämmerte die innere Stimme immer wieder. Die Ambulanzschwester, die mit dem Notarzt einige Worte wechselte, dachte bestimmt nicht an ihre damalige Äußerung, durchzuckte es Salbaisi. Aber er würde sie fragen. Noch heute Nacht. Sobald Fallheimer versorgt war.
Und wenn es nun doch ein »schlimmes Ende« nahm?, pochte es in Salbaisis Gehirn weiter.
7
Melanie und Caroline fühlten sich unwohl. Die Stimmung an der Höllenbar drohte langsam im überbordenden Alkoholkonsum zu kippen. Die Gesprächsfetzen, die in der Menschenmenge den wummernden Musikattacken aus den Lautsprechern widerstanden, hörten sich zunehmend aggressiver an. Einige Gläser waren schon auf dem Boden zerborsten, zwei streitsüchtige Halbwüchsige wurden von besonnenen Männern getrennt. Ein schlaksiger Typ, der bereits Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, war auf Tuchfühlung zu Melanie gegangen, was diese sofort abzuwehren versuchte und dafür unflätige Beschimpfungen erntete. »He, du Schnepfe!«, tobte er los, worauf sich das Interesse der Umstehenden sofort auf ihn richtete. »Rumhopsen wie ein geiles Huhn, die Männer scharf machen und dann zickig werden, was?«, brüllte der Jüngling, den jetzt von hinten zwei Hände an der Schulter zurückhielten, wogegen er sich mit einer energischen Bewegung wehrte. Melanie und Caroline zwängten sich seitlich weg, um dieser brodelnden Menge zu entkommen. Sie verschafften sich energisch Platz, bekamen empörte Worte zu hören und waren schließlich froh, mit heiler Haut und ihren Handtaschen den Rand der Bühne erreicht zu haben. Melanie hätte den pubertierenden und besoffenen Milchbubis am liebsten etwas Beleidigendes zugerufen, ließ sich aber von ihrer weisen Voraussicht davon abhalten. Wenn Musik, Alkohol und möglicherweise noch Drogen das menschliche Hirn narkotisierten, war mit logischen Argumenten nichts mehr auszurichten. Außerdem fühlte sie sich selbst ein bisschen beschwipst, als sie Caroline über die paar Treppenstufen hinab in den Saal folgte. So wie sie beide mit ihren hohen Schuhen und viel nacktem Bein an der Tanzfläche entlangstöckelten, waren sie erneut Objekt der Begierde – und mochten die Blicke, die an ihnen hafteten, noch so alkoholvernebelt sein.
Während sie sich zwischen zwei Tischreihen einen Weg ins Foyer bahnten, musste Melanie daran denken, dass in der beschaulichen Atmosphäre eines gepflegten Hotels derlei niveaulose Anmache nicht zu befürchten sein würde. Immerhin flogen sie am Montag ja nicht zum Ballermann und wohnten nicht in einem dieser All-inclusive-Schuppen, in denen manche Zeitgenossen bis zum Abwinken Bier und Spirituosen in sich hineinschütteten. Ihr Gehirn rief die Erinnerung an einen Slogan wach, den sie für besonders geistlos empfunden hatte: Trinken, bis der Arzt kommt. Wie viel Schwachsinn musste sich in den Köpfen der Erfinder solcher Sprüche angesammelt haben?
Die beiden Frauen atmeten tief durch, als sie im Foyer dieser Festhalle endlich mehr Freiraum um sich hatten. Allerdings strapazierte die Kapelle, die hier an der Südseebar für Mitklatsch-Stimmung sorgte, die Ohren nicht minder. Melanie gab ihrer jüngeren Kollegin mit einer knappen Kopfbewegung und dem Fingerzeig auf die Armbanduhr zu verstehen, dass sie gewillt war, die Samstagnacht zu beenden. Immerhin ging’s bereits auf 3 Uhr zu – und mehr als irgendwelche dümmlichen Gespräche mit geistigen Tieffliegern würden vermutlich nicht mehr zustande kommen.
Sie strebten der Garderobe zu, kramten ihre Kleidermarken aus den Handtaschen und bekamen ihre Mäntel ausgehändigt. Caroline hatte eher beiläufig auf das Display ihres Handys geblickt, das in der Handtasche steckte. Im stundenlangen Lärm wäre kein Anruf zu hören gewesen – schon gar nicht der charakteristische Signalton einer ankommenden SMS, deren Eingangssymbol sie nun im Display entdeckte. Sie warf sich den Mantel über und drückte mit dem Daumen der rechten Hand die
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