Blutsauger
Direktor der Klinik, Dr. Alexander Stuhler, aufsuchen. Dieser hatte sich bereits am Telefon erleichtert darüber gezeigt, dass der Fall so schnell hatte geklärt werden können.
»Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar«, sagte er noch einmal, als ihm Häberle gegenübersaß. »Der ausgezeichnete Ruf unserer Klinik hätte sehr darunter gelitten.«
Der Chefermittler nickte verständnisvoll. »Wenn man’s genau nimmt, hatten Sie nur ein einziges schwarzes Schaf in Ihren Reihen.« Er lächelte dem Arzt aufmunternd zu. »Und dass es die in jedem Betrieb gibt, auch bei der Polizei, das wissen wir alle. Wichtig ist nur, dass man sie rechtzeitig erkennt.«
»Rechtzeitig, ja«, bekräftigte Stuhler und seufzte. »Leider war es für Dr. Fallheimer und Frau Kastel nicht rechtzeitig genug.« Er überlegte. »Aber weshalb, um alles in der Welt, hat Frau Brugger am Samstag in der Ambulanz nach Dr. Moschin gefragt? Macht das denn Sinn?«
Häberle fiel es wieder ein: Unter dem Pseudonym Marion von Willersbach, so stand es in den Akten, hatte sie in der Ambulanz nach Moschin verlangt. Dem Chefermittler war dies bereits mehrfach durch den Kopf gegangen. Vielleicht hatte sie sichergehen wollen, dass Moschin tatsächlich zur Stelle war, um Anja umzubringen. Allerdings hätte sie dies vor dem Betreten der Klinik auch telefonisch erledigen können. Häberle entschied sich zu der seiner Meinung nach schlüssigsten Antwort: »Ich geh mal davon aus, dass sie den Eindruck erwecken wollte, unter dem Namen der Adligen bekannt zu sein und vertrauenswürdig zu erscheinen. So konnte sie den Betrieb in der Ambulanz für die Dauer des Mordes an Frau Kastel aufhalten oder besser gesagt: Für einige Minuten lahmlegen.«
»Und wenn der Kollege Salbaisi den Dr. Moschin hinzugezogen hätte?«, zeigte sich Stuhler skeptisch.
»Dann hätte der natürlich bestätigen müssen, dass er die Dame unter diesem Namen kennt. Aber dies war sicher nicht vorgesehen. Denn vermutlich wäre er zu diesem Zeitpunkt gar nicht auffindbar gewesen, weil er bereits im Röntgenbereich war – bei Anja Kastel.«
»Sie gehen davon aus, dass Frau Brugger – alias Marion von Willersbach – nur den einzigen Zweck verfolgt hat, den Kollegen Salbaisi hinzuhalten, damit Moschin ungesehen den Röntgenbereich wieder verlassen konnte?«
»Ja, natürlich. Als er wieder rauskam, ist auch Frau Brugger verschwunden. Das Zeitfenster muss allerdings recht eng gewesen sein, denn die nachfolgende Patientin hat die Katzenfrau ums Eck gehen sehen.«
»Aber, entschuldigen Sie, warum die ganze Aktion hier in der Klinik? Er hätte sie doch auch anderswo umbringen können.«
»Hätte, ja. Nur sollte es hier nach einem natürlichen Tod aussehen und praktischerweise gleich von Moschin selbst und vielleicht einem anderen Kollegen, wie ja zunächst geschehen, attestiert werden können.«
»Allerdings hatte ich von vornherein Bedenken«, erwiderte Stuhler korrekt. »In einer Klinik darf nichts unaufgeklärt im Raum stehen bleiben. Niemals.«
Häberle hegte keinerlei Zweifel an Stuhlers Worten. »Ihre Klinik genießt in vielerlei Hinsicht einen guten Ruf«, gab er sich informiert. »Gerade wenn man älter wird, wie unsereins …« Er grinste. »Dann schätzt man die Vorzüge eines solchen Hauses vor Ort. Und wie man so hört, sind Sie hier mit Hüft- und Kniegelenkgeschichten wirklich ziemlich versiert.«
»Versiert und weithin bekannt«, ergänzte Stuhler stolz.
»Und Sie selbst«, stellte Häberle fest, »sind – wie man so hört – eine Kapazität auf dem Gebiet der Endoskopie.«
Stuhlers kantiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Man muss das nicht übertreiben, Herr Häberle. Aber wir können vieles hier sehr gut, das dürfen Sie mir glauben.«
»Darmspiegelung«, sprach Häberle ein Thema an, das ihn seit Langem beunruhigte. Ab Mitte 50, so hatte ihm sein Hausarzt empfohlen, sei dies nicht nur sinnvoll, sondern könne sogar lebensrettend sein. Kaum eine andere Krebserkrankung lasse sich bei einer Früherkennung so gut heilen wie Tumore im Darm.
»Sie haben das noch nie machen lassen?«, griff Stuhler die Bemerkung auf. Er hatte ein Gespür dafür, was Patienten beschäftigte.
»Bisher hat mir der Anlauf dazu gefehlt«, erwiderte Häberle kleinlaut und hoffte insgeheim, dass die Gelegenheit günstig war, die Angst zu verlieren.
»Dann nehmen wir jetzt den Anlauf – wie wär’s?«, spornte ihn der Chefarzt an. »Nächste Woche. Ganz harmlose Sache, wirklich. Und
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