Blutsauger
gewissen Humstett. Dr. Claus Humstett. Claus mit C.«
Eine Polizeistreife aus Kirchheim hatte sich zuerst durch den Schnee gekämpft und sich auf dem letzten Kilometer ohne Martinshorn und Blaulicht dem einsam in der Landschaft stehenden Naturschutzzentrum genähert. Der Fahrer steuerte den Passat mit der neuen blau-silbernen Lackierung direkt bis zum schemenhaft beleuchteten Eingang, der von einem Baugerüst umgeben war. Ein paar Meter weiter parkte ein blauer Ford Fiesta. Die beiden Streifenbeamten setzten ihre Mützen auf und verließen ihr Fahrzeug, ohne die Scheinwerfer zu löschen. Sofort schlug ihnen böiger Sturm entgegen. Von irgendwoher gab es scheppernde Geräusche.
Hinter der Scheibe der Eingangstür erkannten sie einen kräftigen Mann mittleren Alters mit Lockenschopf. Er gestikulierte und deutete mit umständlichen Armbewegungen an, dass er über eines der oberen Geschosse herauskommen werde. Daraufhin verschwand er im Innern durch eine Tür.
»Wenn hier einer abgehauen ist, dann frag ich mich, wohin bei diesem Sauwetter«, murmelte einer der beiden Polizisten und wischte energisch die dicken Schneeflocken von der Uniform. »Der Schnee liegt hier doch 30 Zentimeter hoch. Mindestens.«
Wenig später vernahmen sie gleichmäßige Tritte auf einer Leiter schräg über ihnen. »Hier bin ich, hier«, drang eine Männerstimme zu ihnen herab. »Ich hab keinen Schlüssel für die Tür.«
Einer der Polizisten hatte inzwischen eine Handlampe aus dem Streifenwagen geholt und beleuchtete das Gerüst, das sich ums gesamte Gebäude erstreckte.
»Ich bin Claus Humstett und hab Sie gerufen«, stellte sich der Mann kurz vor. Um aufgeregt hinzuzufügen: »Drinnen liegt ein Verletzter – und der andere ist über die Leiter raus. Ich hab versucht, ihn zu verfolgen, aber ich hab ihn da drüben aus den Augen verloren. Es ist ja stockfinstre Nacht.« Er deutete schräg über den Vorplatz, wohin der Lampenstrahl des Beamten seinen Gesten folgte. Dort führte ein breiter Weg auf ein Tor zu. Frische Fußspuren im tiefen Schnee verrieten, dass hier jemand gegangen sein musste.
»Keine Ahnung, wo’s da hingeht«, fügte Humstett an, während sich aus der Ferne die Sirenen der Einsatzfahrzeuge näherten.
»Der Verletzte – wie geht’s ihm?«, erkundigte sich der ältere Beamte, dabei leuchtete sein Kollege mit der Lampe durch die Scheibe der Eingangstür ins Innere des Gebäudes.
»Zustand stabil«, erwiderte Humstett und wischte sich Schnee aus dem Gesicht. »Ich tippe auf ein Narkosemittel. Er wird bald wieder zu sich kommen, denke ich.«
»Und der Täter?«
»Ich kenne ihn«, sagte Humstett. »Kommissar Häberle weiß, um was es geht.«
»Häberle?«, fragte der jüngere Beamte und ließ an der Aussprache des Namens anklingen, dass er sich mit dem Schwäbischen schwertat.
»Göppingen«, brummelte sein Kollege. »War mal Sonderermittler in Stuttgart. Ein Käpsele auf seinem Gebiet.« Er hatte bewusst jenen schwäbischen Begriff gewählt, mit dem hierzulande das besondere Können eines Fachmanns hervorgehoben wurde. »Und was tun Sie hier?«, wandte er sich an Humstett.
»Das zu erklären, ist auf die Schnelle nicht möglich. Nur so viel: Mir ist der Herr, um den es hier geht, seit einigen Tage nicht mehr ganz geheuer.« Er musste sich beiseite drehen, weil ihm der Sturm den Atem raubte. »Ich wollte wissen, mit wem er’s zu tun hat – und bin ihm seit einigen Stunden hinterher. Allerdings …«, Humstett gab sich leicht verlegen, »… allerdings hatte ich andere Kontakte erwartet.«
»Frauen«, fuhr ihm der ältere Beamte ins Wort und wollte gleich gar keine Antwort abwarten. »Stattdessen ist er hierher gefahren und hat hier drin jemanden überfallen.«
»So ungefähr«, bestätigte Humstett leicht verärgert, während sich im Schneesturm ein Rettungswagen des Roten Kreuzes abzeichnete, der sich auf der Zufahrt aus der wirbelnden Flockenwand herausschälte und hinter einem Streifenwagen abrupt stoppte. Zwei Sanitäter und ein Arzt sprangen heraus und kamen auf die Personengruppe vor der Eingangstür zu.
Der dienstältere Beamte schilderte die Lage. »Die Tür ist zu. Sie kommen nur über die Leiter rein.«
»Ich geh mit«, erklärte sich Humstett bereit und eilte zu der Leiter, an der jede Sprosse schneebehaftet war. Er kletterte nach oben, gefolgt von den drei Männern aus dem Rettungswagen. Unterdessen trafen weitere Einsatzfahrzeuge ein, deren Besatzungen sich erklären ließen, worum es ging.
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