Blutsbande: Die Rachel-Morgan-Serie 10 - Roman (German Edition)
herauszureißen. Aber sie und Jenks würden mich finden – und aus diesem Käfig rausholen. Ich befühlte mein silbernes Armband und dachte darüber nach, wie dämlich ich mich angestellt hatte. Kein Wunder, dass Trent mich für hirnlos hielt. Er hatte versucht, es mir zu erklären, aber ich hatte ihm einfach nicht zugehört. Wahrscheinlich hatte ich nie die richtigen Filme geschaut, die, in denen erklärt wird, dass Macht auch mit Verantwortung einhergeht. Mein Blut bedeutete Macht, und ich hatte die Verantwortung, es zu schützen – selbst, wenn das erst einmal bedeutete, dass ich jemandem wehtun musste.
Es gefiel mir nicht. Aber das Ganze war sowieso nur eine hypothetische Frage, wenn ich es nicht schaffte, hier rauszukommen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich biss die Zähne zusammen, als ich auf einem Monitor Eloy entdeckte, der die schwenkende Kamera anblinzelte. Dann nickte er befriedigt und verließ den Aufnahmewinkel. Er tauchte kurz auf einem zweiten Monitor auf, bevor er wieder verschwand.
»Hey, wie wäre es mit einer Pinkelpause?«, fragte ich laut. Chris hatte einen Schraubenzieher auf der Arbeitsfläche liegen gelassen, nachdem sie die Abdeckung der Maschine wieder angebracht hatte. Ich wollte ihn haben.
»Benutz den Eimer«, sagte Chris und machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen.
»Winona musste nicht den Eimer benutzen«, protestierte ich. Dann sah ich auf dem Monitor eine graue Gestalt auf der Treppe, die in einer Hand eine Einkaufstüte hielt.
»Halt den Rand, du dämliche kleine Schitte«, sagte Chris und stand so entschlossen auf, als hätte sie sich bis jetzt nur irgendwie die Zeit vertrieben. Und tatsächlich, sie ging zu ihrem Klappbett, nahm ihre dicke, grüne Armeejacke und zog sie an.
»Toilette?«, drängte ich und ignorierte die Beleidigung.
Chris wühlte in ihren Taschen herum, bis sie ein Taschentuch gefunden hatte, in das sie sich schnäuzen konnte. »Verkneif’s dir«, meinte sie, als sie es wegwarf. Ohne aufzusehen rief sie: »Gerald! Jenn ist zurück! Lass es uns hinter uns bringen!« Sie verdrehte die Augen und wandte sich den Monitoren zu, auf denen jetzt Eloy und Jennifer zu sehen waren. Er hatte ihr höflich die Einkaufstüte abgenommen. Sie sah jetzt vollkommen anders aus: gute zehn Kilo schwerer und ungefähr so viele Jahre älter. Aber nachdem Eloy sich mit ihr unterhielt und die müt terlich wirkende Frau sich einmal zu der Kamera umdrehte und winkte, musste sie es sein.
Ich rutschte unruhig hin und her, zerknüllte meine Serviette und warf sie in den Eimer. Mein Blut hatte den Doppelgängerfluch entzündet. Das störte mich, auch wenn die freiwillige Spende von zehn Millilitern Blut mir gestern den so dringend nötigen Besuch im Bad erkauft hatten. Ich war ein unwilliger Dämon, der einem irren Beschwörer Wünsche erfüllte. Al konnte zumindest Nein sagen. Wahrscheinlich konnte ich mich auch verweigern, und in eine Ecke pinkeln. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Aber dann hätten sie mich einfach nur mit Narkosemittel beschossen.
»Du denkst, du gehörst dazu, aber MegPaG wird dich umbringen, sobald sie dich nicht mehr brauchen«, sagte ich. Chris versteifte sich. »Was glaubst du denn, warum Eloy hier ist? Um dich zu beschützen? Sie benutzen dich, und sobald sie dich nicht mehr brauchen, bist du tot.«
»Wenn du dein Maul noch einmal aufreißt, beschieße ich dich, bis du ins Koma fällst«, knurrte sie, aber ich hatte die Angst in ihren Augen gesehen. Vielleicht war sie ja klüger als ich gedacht hatte.
Schnelle Schritte erklangen, dann stöckelte Jennifer ins Licht. Sie wirkte erfrischt und rotwangig, auch wenn sie überhaupt nicht aussah wie sie selbst. Eloy stellte die Tüte ab und ging zu Geralds Kamerapult, um sicherzustellen, dass der Joystick funktionierte.
»Warum machst du dir überhaupt die Mühe, sie einzurichten?«, fragte Chris bissig. »Sie müssen nicht schwenken.«
»Warum machst du dir die Mühe, die Abdeckungen dieser alten Maschinen aufzuschrauben?«, fragte Eloy trocken zurück. »Sie werden kein bisschen besser funktionieren, nur weil du den Staub entfernt hast.«
Chris lehnte sich an die Arbeitsplatte, und ihre Jacke schabte über das Plastik, als sie ihn von oben bis unten musterte. Die kurzen Haare, kein Make-up, die Kratzer von Jenks im Gesicht – und natürlich die Angst, an die ich sie erinnert hatte: Das alles machte sie richtig hässlich. »Du machst deinen Job, ich mache meinen.«
»Oh-oh«, murmelte
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