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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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Jetzt braucht August Kaiweit nichtmehr jede Razzia zu fürchten. Allerdings bis aufs Polizeipräsidium reichen die Papiere nicht. Dort liegen Ludwigs Fingerabdrücke und Photos. Und dann: der richtige August Kaiweit kann auch etwas auf dem Kerbholz haben und im Fahndungsblatt stehen. Vielleicht ist es sogar ein schwerer Junge, was bei der Fragwürdigkeit seines Quartiers in der Grenadierstraße nicht einmal so unwahrscheinlich ist. Jedoch: wenn Ludwig alle Wenn und Aber in Erwägung ziehen wollte, könnte er sich nur gleich wieder im Polizeipräsidium stellen. Ein Leben außerhalb des Gesetzes ist eben keine Wohlgeborgenheit in Abrahams Schoß …
    Er läßt sich von der Alten den Hausschlüssel geben und geht mit Jonny. Auf der Münzstraße trennen sie sich. Ludwig, um sich bei einem Althändler einen Mantel zu kaufen, und Jonny, Jonny hat mit Fred etwas vor. Was die bloß immer für Heimlichkeiten haben, denkt Ludwig. Treffpunkt: acht Uhr abends im Rehkeller in der Prenzlauer Straße, nahe dem Alexanderplatz.
    Alexanderplatz! Mittelpunkt der Berliner Unterwelt. Man kennt sie. Wer kennt sie nicht aus jenen Filmen Aus dem Milieu der Berliner Unterwelt? Die Edelganoven, die nur in Frack und Lack einbrechen gehen? Jene grausig schönen Verbrecherinnen, denen das Morden perverser Zeitvertreib ist? Und die fabelhaft echten Verbrecherkeller mit Apachentänzen, Schmalztollenganoven, rassigen Zwei-Mark-Nuttchen mit brandrot loderndem Wuschelkopf? Die verschwiegenen Sektlogen in den Kellern und diegeheimen Falltüren? Allerbilligste Groschenphantasie einfallsarmer Filmregisseure und anderer Hintertreppengemüter. Der Amüsiermob verlangt derartiges. Möchte in seinen teuren Logensesseln von einer Gänsehaut in die andere gleiten. Also wird Unterwelt gedreht. Und weil die wahre Berliner Unterwelt in ihrem sozialen Elend durchaus nicht Kurfürstendammgeschmack ist, dichtet man Berlin eine Unterwelt an, in der es, siehe oben, wie beim Herrgott in Frankreich zugeht. Der oberflächliche Betrachter des auf den ersten Blick sichtbaren Milieus wird die ganze Berliner Unterwelt sterbenslangweilig finden. Nichts, gar nichts Interessantes. Blut ist auch hier ein besonderer Saft, und den dämonischen Verbrecher bestaunt der Berliner Ganove, genau wie jeder andere Sterbliche, im Kientopp. Es bedarf schon eingehender Studien, um zu jenen Menschen vorzudringen, die vielleicht ihr Leben lang zwischen kurzer Freiheit, langen Gefängnisjahren, ewiger Flucht vor dem Gesetz und — nach einigen Freudentagen in desto größeren Entbehrungen vegetieren.
    Selbstgewähltes Schicksal? Nicht immer. Nicht immer! Die Jugendjahre in der Fürsorgeerziehung, quasi Lehrlingsjahre für den werdenden Gesetzesübertreter, sind verdammt kein selbstgewähltes Schicksal. Und weiter: Vorbestraft! Die schwer überwindbare, glasharte Mauer bürgerlicher Voreingenommenheit und Vergeltungswut läßt Ungezählte scheitern. Ungezählte, die sich gern wieder einem geregelten Leben eingeordnet hätten.
    Vorerst die Feststellung, daß es heute in Berlin jene Verbrecherkeller, wie sie uns in hundert Filmen gezeigt werden, gar nicht mehr gibt. Alle diese Keller in der Linienstraße, Marienstraße, Auguststraße, Joachimstraße, Borsigstraße und so weiter, mußten kurz nach der Inflation schließen. Und die großen Bierlokale mit brüllender Blechmusik schon am frühen Vormittag sind Wartesäle des großen Heeres der Zuhälter, Obdachlosen und Gelegenheitskriminellen. Aber diese Gäste machen den Kohl des Wirtes nicht fett. Attraktion dieser Lokale ist die Prostitution. Sie, nur sie erhält diese Lokale. Sie lockt die Freier hierher und animiert zu großen Zechen. Die Prostituierten brauchen, wenn sie noch solo sind, nichts zu verzehren, sie gehen von Tisch zu Tisch und bieten sich an oder schnorren bei den studienhalber anwesenden Gästen einen Schnaps. Und wenn in diesen Lokalen wirklich einmal was los ist, darf man mit einiger Sicherheit annehmen, daß alles arrangiert ist, damit die Sehleute in die für den Konsum nötige angenehme Gruselstimmung kommen und in Bekanntenkreisen von dem tollen Verbrecherlokal erzählen.
    Zuerst bemächtigte die Kulisse sich des Unterweltthemas, tischte hundertprozentige Ammenmärchen auf, und jetzt greift die Unterwelt zur Kulisse, um nicht gar zu sehr zu enttäuschen. Bedient sich sogar des Anzeigenteils der geeigneten Presse. Zwischen den Anzeigen feudaler Schlemmerlokale und mondäner Tanzpaläste schreit es: „Wollen Sie die Berliner

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