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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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geändert. Alle Jungens haben neue Kleidungsstücke. Einige, Fred, Jonny und Hans sind von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Haben gute Anzüge und sogar Wintermäntel. Auch Geld ist vorhanden. Jonny veranstaltet sofort eine Sammlung für Ludwig unter den Blutsbrüdern. „Damit er den Knast vergißt.“ Zweiundvierzig Mark bekommt Ludwig. Er soll sich einen Mantel kaufen und Kleinigkeiten, die er braucht. Am Abend des Tages, an dem Ludwig sich gewaltsam die Freiheit verschafft hat, soll ihm zu Ehren eine große Kneiptour stattfinden. Alle Kameraden zeigen aufrichtige Freude, daß Ludwig wieder da ist. Und daß er auf dem U-Bahnhof so keß getürmt ist, setzt ihn in aller Augen um viele Plätze höher. Dieser Kerl vom Stettiner Bahnhof, der Ludwig den heißen Schein angedreht hat, soll nur seine Knochen nummerieren, wenn sie ihn irgendwo schnappen. So eine Gemeinheit. Hätte doch ruhig an Ludwig herantreten sollen: hier ist ein heißer Schein. Willst du den Koffer einlösen? Wir machen Halbe-Halbe. Dann wäre die Sache reell gewesen, aber so … Der soll uns in die Finger laufen!
    Ludwig hat Angst, sich noch am selben Abend in so vielen Kneipen zu zeigen. Bei der kleinsten Razzia kann er hochgehen, wo er doch keine Papiere hat. Papiere, Papiere … Jonny denkt nach. Dann: „Komm mal mit, Ludwig.“ Sie gehen nach der Grenadierstraße. Berlins Ghetto, die Straße der heimlichen und unheimlichen Geschäfte und Herbergen. Jonny redet einige Worte mit einer vor einem Kellerladenstehenden alten Jüdin. Sie ruft einen Jungen aus dem Keller und schickt ihn mit einem Auftrag fort. Nach einigen Minuten kommt der Junge mit einem kleinen, verwitterten Juden in speckigem Kaftan. Bart- und Kopfhaare des Alten sind graugrün und strähnig verfilzt, die kleinen Augen luchsen unruhig hin und her. Der Jude lädt Jonny und Ludwig in den Laden.
    Die Bezeichnung Laden ist eigentlich eine unverantwortliche Schmeichelei. Der ganze Warenvorrat ist mit zehn Mark reichlich bezahlt. Einiges ehrwürdig verschrumpeltes Gebäck, der übliche Knoblauch und koschere Margarine in Paketen. Der Laden ist auch nur Vorwand, nur Deckmantel für andere, bessere Geschäfte, bei denen es keines Warenlagers bedarf. Sie gehen in ein dunkles, fensterloses Hinterzimmer. Der Jude nimmt zwischen Ludwig und Jonny auf einem ehemaligen Sofa Platz. Fromm, ergeben und ahnungslos faltet der alte Hehler die schwarzadrigen Hände: „Was wünschen die Herren denn?“ „Hier, mein Freund braucht Papiere“, beginnt Jonny. „Papiere … oh …“ Schon wird der Alte zurückhaltend und mißtrauisch. Falsche Papiere sind eine schwierige Sache. Jonny bietet fünfzehn Mark für einen Meldeschein oder eine Stempelkarte. Die Finger des Alten zupfen nervös am Kaftan herum, Geldhunger und Furcht halten sich die Waage. Nein, Papiere habe er nicht. Er sei ein ehrlicher Mann. Ja … Aber … er wüßte schon jemanden, bei dem es möglich sei. „Also los, gehen wir hin“, unterbricht Jonny.
    Der Jemand entpuppt sich als ein altes, verhutzeltes Weibchen im vierten Stock einer Hofwohnung. Vorerst hält der Alte mit dem Weibchen ein großes Palaver ab. Jiddisch, hebräisch, deutsch in einem schaurigen Mischmasch. Dann erzählt die Alte Jonny und Ludwig in einem weinerlichen Singsang, daß bei ihr jemand gewohnt habe, er sei polizeilich gemeldet gewesen, alles in Ordnung. Aber eines Tages sei er nicht wieder erschienen und habe eine alte, aber ehrliche Frau um die Miete gebracht. Zurückgelassen habe er lediglich ein ziemlich schmutziges Hemd, einen Hut und in einer Zigarrenkiste einige Papiere, darunter die polizeiliche Anmeldung, eine Steuerkarte und einen Taufschein. „Zeigen Sie die Papiere“, fordert Jonny. Die Anmeldung lautet auf die Wohnung in der Grenadierstraße für August Kaiweit aus Königsberg, geboren 1908. Ludwig ist zwar 1912 geboren und hat als Dortmunder keine Ahnung wo Königsberg liegt, aber sonst sind die Ausweise nicht übel. „Wo hat denn der Mann gewohnt?“ fragt Jonny. Die Alte führt sie in eine erbärmliche Rumpelkammer. „Miete?“ „Fünf Mark die Woche.“ „Und die Papiere?“ Wieder beginnt zwischen den beiden Alten ein endloses, für Jonny und Ludwig unverdauliches Gewäsch. Endlich: Zehn Mark für die Papiere und fünf Mark Provision für den Juden.
    Erledigt. Jonny gibt der Alten zehn Mark für die Papiere und die erste Woche Miete von fünf Mark; der Jude erhält seine Provision. Ludwig hat einen neuen Namen und gleichzeitig eine Wohnung.

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