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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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ins Bett, um sich unter der Decke der letzten Hülle zu entledigen. Als sich endlich ihre weiche Nacktheit an seinen Körper schmiegt und sie sein glühendes Gesicht zwischen ihre fast mütterlich üppigen Brüste drückt, entlädt sich die in jahrelanger Fürsorgehaft aufgespeicherte Geschlechtsqual in beinahe tierisches Aufbrüllen.
    Nach zwei Stunden spaziert Willi, übermütig wie ein kleiner Junge, durch die nächtlich stillen Straßen. In ihm singt und jubiliert das große Erlebnis. Das große Erlebnis, das er tausendmal durch den Dreck ziehen hörte unter Kameraden. Das große, naturgewollte Erlebnis, das ihm die Fürsorgehaft so lange vorenthalten hatte. Das große Erlebnis, das er sich in schlaflosen, qualvollen Nächten mit fieberbunten Farben ausgemalt hatte. Das große, überaus herrliche Erlebnis in den Armen der kleinen, dicken Elly …
    Willi ist ein Glückskerl. Sein ganzes Geld hat er mit Elly ausgegeben und morgens kriegt ihn der kleine Willi beim Schlafittchen: „Steh uff, hat wieder geschneit!“ Geschneit? Da kann er ja wieder Geld verdienen! Los mit Schneeschieber und Besen. Bei der Arbeit fragt der Kleine, wie der Abend mit Elly verlaufen sei. Aber Willi gibt nur ausweichende Antworten. So etwas Schönes muß man für sich behalten. Ach, Elly … Der Schneeschieber arbeitet wie geschmiert, der Besen kann kaum mitkommen. Und nachmittags haben sie zusammen fast zehn Mark verdient.
    Drei Tage später. Ein neuer Schneefall hat sich nicht eingestellt, und Willi zehrt sparsam an seinen paar Kröten. Morgens wacht Willi wie zerschlagen auf. Alles schmerzt ihn. Was ist los mit ihm? Als er es dem Kleinen schildert, grinst der vor sich hin und fragt: „Hast denn schon nachjesehn?“ Nachgesehen? … Nachgesehen? „Du bist sicher mit die Elly inne Betten jegangen!“ Bald stellt der Kleine fest, daß Willi an Gonorrhoe erkrankt ist. Die Elly hat ihn angesteckt. „Nu jeh man jleich zu Onkel Dokta, denn bist den Kram in vierzehn Tagen los.“ „Doktor? Ich hab doch kein Geld und keine Papiere.“ „Brauchste nich, Willi, krichste alles umsonst.“
    Am späten Nachmittag führt der Kleine ihn zum Köllnischen Park in ein mächtiges Gebäude. Der Portier teilt Nummern aus und weist sie ins Hintergebäude. In einem Saal warten verlegen oder abgebrüht grinsend beinahe hundert Burschen und Männer. Burschen von sechzehn bis zwanzig Jahren sind in der Überzahl. Als Willis Nummer aufgerufenwird, führt eine Schwester ihn in ein Büro, wo das Krankenblatt angelegt wird. „Auf welchen Namen?“ fragt der Beamte. Willi zögert. „Sie brauchen Ihre Personalien nicht anzugeben, nur irgendeinen Namen brauche ich für Ihre Krankenkarte“, ermuntert der Beamte. „Schröder“ gibt Willi aufs Geratewohl an. Er bekommt eine kleine graue Karte ausgehändigt: Landesversicherungsanstalt Berlin. Ärztliche Abteilung C., für Herrn Sch., und wird in einen riesigen weißen Saal geführt, der durch verschiebbare Wände in kleine Untersuchungszellen aufgeteilt ist. In jeder Zelle ein Schreibtisch, ein Untersuchungsstuhl und andere medizinische Geräte.
    Ein Arzt untersucht Willi. „Wo haben Sie sich angesteckt?“ Willi schweigt. „Können Sie die Person nicht namentlich angeben, damit wir sie dem Arzt zuführen können?“ Was soll er sagen, soll er Elly verraten? Nein, er will sie selbst herschicken. „Mit Namen kenn’ ich das Mädchen nicht … auf ’n Rummel kennengelernt … weiß auch nicht, wo das Mädchen wohnt.“ „H. w. G.-verdächtige Person, Name und Adresse unbekannt“, notiert der Arzt auf dem Krankenblatt in der Rubrik Infektionsquelle. H. w. G. : gesundheitsbehördliche Abkürzung für häufig wechselnder Geschlechtsverkehr. Die Abkürzung findet Anwendung bei Personen, die im Verdacht der Prostitution stehen. Der Arzt ruft eine Schwester in die Zelle: „Nehmen Sie dem Herrn vorsichtshalber eine Blutprobe ab.“ Das aus Willis linkem Arm abgezapfte Blut wird ins Laboratorium gesandt und dort der Wassermannschen Reaktion unterzogen. In drei Tagen kannWilli erfahren, ob er neben der Gonorrhoe auch die Syphilis von seiner Elly als Andenken bekommen hat …
    Mit dem Überweisungsschein an eine Behandlungsstelle bekommt Willi ein Merkbüchlein für Geschlechtskranke. In ihm steht der von Lebensklugheit triefende Satz: „Sicherster Schutz vor Geschlechtskrankheiten ist die Vermeidung jeglichen Geschlechtsverkehrs vor der Ehe.“ — —



Während Ludwigs Gefängniszeit hat sich vieles in der Clique

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