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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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Unterwelt kennenlernen? Kommen Sie zu Europas b ekanntester Gaststätte am Alexanderplatz!“ Was macht es, daß Europas bekannteste Gaststätte ein harmloser Nuttenbums ist? Das wäre die Gänsefüßchen-Unterwelt. Heil der großen Stadt Berlin, wäre damit das Kapitel Unterwelt abgetan. Es ist zu schön, um wahr zu sein.
    Alexanderplatz in den Abendstunden zwischen einundzwanzig und vierundzwanzig Uhr. Wo beginnen in dem Menschentohuwabohu? Prostitution aller Abarten. Von der Fünfzehnjährigen, eben aus der Fürsorge ausgerückt, bis zum sechzigjährigen alten Eisen ist alles fieberhaft auf der Jagd nach dem Freier. Männliche Prostitution steht in ganzen Rudeln vor den Bedürfnisanstalten, an den Haltestellen, vor den großen Lokalen. Obdachlose beider Geschlechter drücken sich herum. Bleiben stehen, gehen weiter. Ziellos. Setzen sich auf einen Bretterstapel des U-Bahnbaues. „Weitergehen!“ Schupopatrouille. Weiter, weiter, wohin? Fast verlockend winkt die massige Silhouette des Polizeipräsidiums. Dort gibt es Essen und Trinken und ein Bett. Aber erst dann, wenn der Verzweifelte eine Schaufensterscheibe demoliert hat.
    Mit der ganzen Gemeinheit seines Berufes macht sich das Zuhältertum breit. Hunderte allein auf dem Alexanderplatz. Ihnen gehört die Straße, ihnen gehören die strichenden Mädchen. Auf Schritt und Tritt verfolgen sie ihre Kalle ; ja, ermuntern zögernde Interessenten, indem sie von den Vorzügen des Meechens erzählen. Menschen werden angepriesen und taxiert wie lahme Gäule auf dem Pferdemarkt.
    Aus einem unterirdischen Bierlokal neben dem Ufakino quillt ein johlender Gästeschwarm. Im Nu stockt der ganze Verkehr. Schwarz steht die Menschenmenge, schwarz strömt sie herzu. Was ist passiert? Etwas ganz Alltägliches. Kern der Menschenmenge ist eine Prostituierte und ihr Zuhälter. Er schlägt unaufhörlich auf die Frau ein. Vornübergebeugt steht sie da, beide Hände zum Schutz vors Gesicht gehalten. Wie ein Schlachttier. Aus der Menge tönt es begeistert und anfeuernd: „Orntlich Fritz, jib ihr, det Aas!“ Und Fritz läßt sich nicht lumpen, er gibt. Nicht eine Hand, nicht ein Mund rührt sich zum Schutze der Frau. Man ist vollkommen unter sich. Kriegt die Frau eine Abreibung, wird sie sie schon verdient haben. Endlich kommt Polizei, bahnt sich einen Weg durch die zähe Mauer. Was geschieht? Nichts. Der Zuhälter kann sich legitimieren, daß das Opfer seine Ehefrau ist. Und die Ehe- Frau erstattet, auf Befragen der Polizei, keine Anzeige. Sie wird sich hüten, sich von guten Freunden ihres Ehemannes und Zuhälters zum Krüppel schlagen zu lassen. „War ja janich so schlimm“, sagt sie nur, und das Blut quillt aus der Nase.
    Der Menschenschwarm löst sich wieder auf. Es wird nicht mehr gekeilt. Das Interesse ist erloschen. Die Prostituierte steht blutwischend und schluchzend an einen Haltestellenpfahl gelehnt. „Nu halt aba de Fresse, Edith.“ Der Zuhälter sagt es, ganz gemütlich. Und Edith bemüht sich krampfhaft, die Fresse zu halten, ab und zu rutscht noch ein Schluchzer heraus. Sie zückt Lippenstift und Puderquaste, um wieder Fasson in das verheulte Gesicht zu bringen. Dann gehen beide,Arm in Arm, in den nahen Rehkeller .
    Der einzige der Gattung Keller, der noch den Namen Verbrecherkeller führen könnte. Aber auch hier ist alles auf Amüsierbetrieb eingerichtet. Unterwelt ist Mode. Ein niedriger, gewölbeartiger Raum in schummrigem bunten Licht. Das alte, wieder und wieder übertünchte Gemäuer strömt einen entsetzlichen Modergeruch aus. Ein Klavierspieler versucht verzweifelt, aus einer Drahtwirrnis eine einigermaßen verständliche Tonfolge herauszuhauen. Gäste: das übliche Alexmilieu, allerdings sehr wenig Sehleute. Sieht wohl von draußen zu unheimlich aus, der Rehkeller.
    An einem Tisch in der hintersten, finstersten Ecke sitzen die Blutsbrüder. Zwischen ihnen ein junges Mädchen von siebzehn, achtzehn Jahren. Anneliese, die neue Cliquenliebsche der Blutsbrüder. Seit sie auf bisher für Ludwig noch ungeklärte Weise stets über Geld verfügen, ist Anneliese Gemeingut der Clique. Ludwig kommt mit seinem neuen Mantel. Zuerst empfängt Anneliese ihn mit einem schallenden Kuß. Sie sehen sich zum erstenmal, und Jonny klärt Ludwig auf, daß Anneliese zur Clique gehört. Die anderen Blutsbrüder begrüßen Ludwig mit einem anzüglichen „Guten Abend, Herr Kaiweit“. Überhaupt ist Ludwig persona grata. Anneliese sitzt dem „armen Jungen, der unschuldig in Moabit

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