Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)
passiert in Berlin“, sagt er nur und besieht sich die Wunde. Zum Glück nur ein Streifschuß. Konrad kommt mit dem aus einer Nachtapotheke besorgten Verbandszeug. Allmählich kommen auch die anderen Blutsbrüder. Walters Wunde wird ausgewaschen und verbunden. Soll er morgen zum Arzt gehen? Riskant. Der Arzt wird fragen. Aber Gotthelf weiß Rat. Er kennt einen versoffenen, heruntergekommenen Apotheker. Der soll Walter in Behandlung nehmen. Walter ist ganz vergnügt, seine Rolle schmeichelt ihn, und die Wunde schmerzt nicht besonders. Er soll schlafen. Vorher bekommt er noch einen ordentlichen Schnaps. „Schnaps is immer jut“, sagt der weise Gotthelf.
Drei Uhr morgens ist es. Konrad und Jonny, Hans und Fred sind ja zu Hause. Jonny wird bei Hans mit ins Bett kriechen,damit Walter nicht gestört wird. Die Jungen, die nicht bei Gotthelf wohnen, verabschieden sich. Anneliese gehört heute nacht zu Ludwig und geht mit ihm in seine Schlafstelle in der Grenadierstraße. — —
Die bescheidene Glückssträhne des zweimaligen nächtlichen Schneefalles ist zu Ende. Regen, endlos und eintönig, strippt auf den Asphalt. Regen, der zerlatschte Schuhe aufweicht, bis der glückliche Besitzer nur noch schwammige Lappen an den Füßen zu haben glaubt.
Willi Kludas steht auf dem nächtlichen Hermannplatz in Neukölln und starrt gedankenlos in die aufflammende und wieder verlöschende Lichtreklame eines hausfrontgroßen braunen Bären, der sich eine Zigarette anzündet und behaglich Glühbirnenrauch pafft: Berlin raucht Juno.
Mit dem Nachtquartier bei der schlesischen Olga war es aus. Zwei Nächte hatte sie ihm gestundet. Dann aber wollte sie bezahlt sein, wenn auch auf dem bei ihr üblichen Wege. Und das ging doch nicht, schon wegen seiner Krankheit. Ach, die Krankheit. Daß das auch noch kommen mußte. Und gleich bei dem ersten Mädel. Am nächsten Abend hatte er Elly aufgelauert und ihr die Adresse im Köllnischen Park gegeben. Morgen bin ich wieder hier. Wenn du mir dann nicht solche Karte zeigen kannst, zeige ich dich bei der Polizei an, hatte er patzig gedroht und war gegangen. Am nächsten Abend wartete Elly mit der grauen Karte bereits auf ihn. Nur die Karte hatte er sich angesehen, die Elly hatte er gar nicht beachtet. Nischt zu fressen, keine Bleibe und dann noch so eine eklige Krankheit. Mist, verfluchter! Die Medikamente muß er ständig mit sich herumschleppen. Wo soll er sie auch lassen? In drei, vier Tagen werden Sie die Sache los sein, hatte der Arzt gestern gesagt. Und das mitder Blutprobe war noch gut abgelaufen. Negativ hatte er nach drei Tagen erfahren.
Wenn doch bloß der Regen aufhören wollte. Immer im Hausflur stehen. Bis ihn mal ’n Schupo fragt. Da drüben, die großen Kneipen, wie die gerammelt voll sind. Die haben’s gut, da drin. Die können Juno rauchen, trinken und essen und ausruhen in der Wärme. Ob er mal reingeht, da in das Braustübl, und sich auch an einen Stehtisch stellt? Merkt doch kein Mensch bei dem Gedränge, daß er nichts verzehrt. Wenigstens die Lumpen auftrocknen und im Warmen stehen.
Er geht über die Straße in das Lokal. Zwängt sich durch die Gäste und geht nach hinten zur Toilette. Dann wird er langsam zurückgehen an seinen Platz am Stehtisch, neben der Heizung. Und leere Gläser stehen auch genug herum, er hat gerade eben ausgetrunken und wird sich jetzt überlegen, ob er noch eine Molle trinken will … Auf der Toilette zupft Willi sich ein wenig zurecht. Drückt die Nässe aus den Hosenbeinen und aus dem Jackett. Was da für Wasser rauskommt … Unter der Wasserleitung schlürft er durstig aus der hohlen Hand. Ich trink’ meine Molle auf ’n Lokus, denkt er dabei. Pomadig, den Vollbesitz einigen Silbergeldes mimend, geht er wieder durch das Lokal. Niemand beachtet ihn, als er an seinen Platz tritt. Vor ihm steht ein halbvolles Bierglas. Ist der schon weg? Abwarten.
Mit dem Hintern drückt er sich an die Heizung. Das tut gut. Aber bald muß er wieder abrücken, das nasse Zeug dampft, als sei es aus dem Waschkessel gekommen. Die gleich ihm am Tisch stehenden Gäste machen ihre harmlosen Witze über dendampfenden Willi. Grient ihr nur, ihr Armleuchter. Ihr habt zu rauchen und zu trinken, und wenn ihr Hunger hättet, würdet ihr euch wohl eine Bockwurst vom Büfett holen. Und ’ne Bleibe habt ihr sicher auch. Niemand kommt, um die halbe Molle vor Willi auszutrinken. Ist wohl weg, hat wohl schon so viel, daß er nicht mehr mag. Willi sieht auf die Uhr über dem
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