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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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geliefert. Und jetzt kommt der feierliche Augenblick, wo Willi und Ludwig sich auf das Sofa setzen, um mit dem Abendbrot zu beginnen. Nicht so ein vertrocknetes Brötchen und Bier dazu wie in der Kneipe. Nein, ein richtiges Abendbrot zu Hause. Sie sehen sich beide an, sagen aber nichts. Der Augenblick ist zu groß. Sie haben eine Bleibe nach all dem Dreck, nach all den Entbehrungen … Nach dem Essen sitzt jeder in seiner Sofaecke. Sie rauchen eine Zigarette und überlegen die morgige Tour. Die Jungferntour als Stiefelaufkäufer. Frau Bauerbach kommt noch einmal und bringt eine Weckuhr. Der Wecker wird auf acht Uhr gestellt, und dann gehen sie schlafen.
    Am anderen Morgen neun Uhr nehmen sie die zusammengerollten Säcke unter den Arm und besorgen sich auf der Post für zehn Mark Kleingeld. Als Geschäftsmann muß man stets Kleingeld haben, die Kundschaft will schnell und prompt ausgezahlt werden. Alle Straßen links der Berliner Straße sind als Arbeitsfeld bestimmt. Auf dem Hinweg leiern sie sich ihren Vers vor: „Guten Tag. Wir zahlen für altes Schuhzeug bis zu zwei Mark, haben Sie welches zu verkaufen?“ …
    Ist das nicht ein gutes Zeichen? Bei der ersten, allerallerersten Hausfrau handeln sie zwei Paar Herrenschuhe ein,braun und schwarz. Nach einigem Feilschen zahlt Ludwig sechzig Pfennig aus. Rin in den Sack mit den Trittchens. Hier wird gar nicht geöffnet, dort äugt man sie mißtrauisch durch den Spion an. An anderer Stelle kriecht die ganze Familie in verlorene Ecken und Winkel und sucht nach altem Schuhzeug. Bargeld gibt es dafür, und Geld ist im proletarischen Neukölln ein rarer Artikel. Nach zwei Stunden haben sie neun Paar Schuhe und zwei Mark und achtzig Pfennig dafür bezahlt. Unverdrossen geht es treppauf, treppab: „Guten Tag. Wir zahlen … Wir zahlen , das Zauberwort. Um zwei Uhr sind beide Säcke voll. Die Jungens wissen gar nicht mehr, wieviel Paare es sind. Ausgezahlt haben sie rund acht Mark.
    Nach Hause, zu Mutter Bauerbach. Säcke in die Werkstatt gestellt, schnell in einem Speiselokal zu Mittag essen und dann an das Sortieren, Reparieren und Säubern. Wie im Fieber sind die Jungens. Sie schlingen das Fünfzig-Pfennig-Essen herunter, auf dem Nachhauseweg wird eine Zigarette geraucht. Schürzen aus aufgetrennten Säcken werden vorgebunden und dann in die Werkstatt. Mit Gehops und Gepolter kullert das Schuhzeug aus den Säcken auf den Fußboden. Jedes Paar wurde gleich beim Kauf an den Senkeln zusammengebunden. Zuerst werden die reparaturbedürftigen Paare aussortiert. Ludwig kramt Nägel und Werkzeug zurecht und beginnt mit dem Reparieren. Hier einen Fleck auf den Absatz, dort einen auf die Sohlenspitze. Willi macht sich ans Säubern und Blankputzen. Sie arbeiten, ohne aufzublicken, ohne viel zu reden. Ab und zu mal ein Zug aus der Zigarette. Abendsacht Uhr stehen in Reih und Glied zweiundzwanzig Paar Schuhe und sieben Paar Stiefel. Sauber, glänzend, notdürftig repariert. Dann schreiten Ludwig und Willi die Front ab, jedes Paar bekommt eine Nummer, die auf einer Liste mit dem vom Händler zu fordernden Preis vermerkt wird. Danach würden die neunundzwanzig Paar insgesamt einundzwanzig Mark und vierzig Pfennig bringen. Verdienst rund dreizehn Mark. „Ob wir das kriegen, wird sich ja rausstellen“, sagt Willi lakonisch. Für morgen sind nur drei Stunden Aufkaufzeit vorgesehen. Nachmittags sollen die neunundzwanzig Paar verkauft werden. Bei Händlern in der Linienstraße, Große Hamburger Straße, Acker- und Auguststraße. Sie werden sich sehr vorsehen müssen, daß sie keinem Blutsbruder begegnen. Nach dem Abendessen kriechen sie müde ins Bett.
    Linienstraße, der Abschnitt zwischen Neue König- und Prenzlauer Straße, Althändler dicht an dicht. Alle handeln mit altem Schuhzeug. Ludwig stolpert in einen Keller. Willi wartet oben mit den Säcken. „Runterkommen!“ ruft Ludwig von unten. Vor dem Ladentisch werden die Säcke ausgeschüttet, und der Händler wühlt sich heraus, was er brauchen kann. Elf Paar scheinen ihm geeignet. Preis? Ludwig guckt nach den Nummern, sieht in seine Liste: „Die elf Paar zusammen … zusammen … acht Mark und zwanzig.“ Der Händler prüft jeden Schuh, jeden Stiefel, macht mies, wie die Jungens es beim Einkauf taten. Sieben Mark bietet der Händler. Sieben Mark und fünfzig Pfennig will Ludwig haben und bekommt endlichsieben Mark und fünfundzwanzig Pfennig. Das erste Geschäft ist perfekt. Sie verabreden mit dem Händler, daß sie regelmäßig zu

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