Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)
stieg. Jedenfalls hatte dann die Leipziger Polizei Freds Signalement nach Berlin gefunkt, denn als er auf dem Anhalter Bahnhof ankam, standen wieder zwei Beamte bereit, die ihn wohl passieren ließen, sich aber hinter ihn her machten, um Freds Unterschlupf und möglichst auch noch seine Genossen ausfindig zu machen. Den Rohrpostbrief schrieb er im Gehen auf der Straße, Papier und Marken hatte er zum Glück bei sich. Und im Gedränge des Potsdamer Platzes bot sich bald eine Gelegenheit, den Brief unbemerkt in den Kasten zu werfen. Woher allerdings die Bullen die Adresse in der Badstraße hatten …
Jedenfalls standen die Blutsbrüder schon längere Zeit unter Beobachtung. Entwischt war Fred den Beamten in der Aschingerfiliale Friedrichstraße. Der Zugang zur Toilette führt durch einen Flur, der auf die Krausenstraße mündet. Die Beamten standen vor dem Lokaleingang Friedrichstraße und warteten auf Fred. Warteten, warteten … Vorerst aber traute Fred sich nicht in die Gegend Bad- und Koloniestraße. Bis er spät nachts eine Taxe nahm und sah, daß ihr Unterschlupf in der Badstraße bereits umstellt war.
„Vorläufig könnt ihr hier schlafen; wenn es nicht kälter wird, läßt sich’s schon aushalten“, schlägt Ulli vor. Ulli weiß, daß bei den Blutsbrüdern Geld ist, und für Geld macht er schon, was er kann. „Fred“, beginnt Jonny, „du und ich, wir müssen für einige Wochen verschwinden, bis der größte Knatsch vorbei ist. Wir könnten nach Magdeburg fahren und da die Sache erledigen. Du weißt … Bringt mindestens zweitausend Emm. Ihr anderen“, er wendet sich an die übrigen Blutsbrüder, „könnt ja hier wohnen und ruhig weitermachen. Nehmt aber nur Wochenmärkte. Die Warenhäuser sind schon zu scharf geworden. Ulli, hast du Lust, mit nach Magdeburg zu fahren? Dreihundert Emm werden für dich abfallen …“ „Was ist es denn?“ fragt Ulli. „Ziemlich ungefährliche Sache. Weiß selbst nicht genau, was. Ein alter Bekannter von mir schiebt da den Laden.“
Ulli erklärt sich bereit. Jonny bereitet alles für ihre Abreise mit dem Frühzug vor. Konrad wird während Jonnys Abwesenheit stellvertretender Cliquenbulle. Ulli überlässt den in Berlinbleibenden Blutsbrüdern die Laube. Die vergrabene Sore soll unangetastet bleiben. Jetzt ist es doch zu gefährlich sie zu verschärfen. Zwei kurze Stunden Schlaf. Fred, Jonny und Ulli machen sich fertig und packen einen kleinen Koffer. Draußen ist noch finstere, regnerische Nacht. In der Koloniestraße halten sie eine Taxe an: „Potsdamer Bahnhof.“ Einzeln, keiner kennt den anderen, lösen sie Fahrkarten und steigen in den Zug. Erst als er abfährt und sie nichts Verdächtiges bemerkt haben, setzen sie sich zusammen. Gott sei Dank, Berlin hätten sie hinter sich.
In Magdeburg angekommen, warten Fred und Ulli in einem Frühstückslokal gegenüber dem Bahnhof, und Jonny macht sich auf zu seinem Bekannten, dem Franzosenfelix, dem es in Berlin zu heiß geworden war. Franzosenfelix wohnt mit seiner Braut in der Fette-Hennen-Gasse. Wo ist die Fette-Hennen-Gasse? Am Alten Markt, nahe dem farbenfrohen Magdeburger Rathaus. Fette-Hennen-Gasse in Magdeburg und Mulackstraße in Berlin ist ein Begriff. Nur die verbogenen Katen in Magdeburg sind um einige hundert Jahre älter als die der Berliner Prostituiertensiedlung. Jonny stolpert eine enge, steile Holzstiege hinauf, jede Stufe gibt bereitwilligst um einige Zentimeter nach, revanchiert sich dafür aber mit asthmatischem Gestöhn und Gekrächz. Ein untrügliches Zeichen für die Bewohner, daß ein Fremder im Bau ist. Die Einheimischen drücken sich beim Emporsteigen dicht an die Wand, dann schweigt die Treppe. Oben dauert es sehr lange, bis auf Jonnys Klopfen geöffnet wird, drinnen hört er Tuschelnund Flüstern. „Felix … Jonny ist hier, Jonny aus Berlin! …“ Dann wird aufgeschlossen.
Ein Bulle von Kerl steht in allzu kurzem Hemd vor Jonny: „Jonny! Det is aba ’ne Überraschung! Komm rin!“ In dem einzigen Bett liegt wach und neugierig, schamhaft weniger, Felix’ Braut, die Prostituierte Paula. Kanariengelb lodern und fusseln derangierte Dauerwellen um das niedliche, zarte Gesichtchen. Der Riesenklotz Felix liebt und beschützt nur Mädels unter fünfzig Kilo. „Biste hier wegen die bewußte Sache, Jonny?“ „Ja, Felix. Hab auch zwei Jungens mitgebracht. Den einen kennst du ja: Fred.“ „Fred? Der is richtig.“ Felix wendet sich an seine Braut: „Schnuckel, nu mach ma aus de Betten.
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