Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)
gutheißt.“
Drei Wochen später muß Willi seine Strafe antreten.
Drei Wochen und zwei Tage sind es noch bis zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag, als Willi die zwei Monate Gefängnis verbüßt hat und wieder in die Fürsorgeanstalt eingeliefert wird. In drei Wochen und zwei Tagen ist er frei! Jetzt wird es Zeit, mit Ludwig einen genauen Plan auszuhecken. Während der Nachmittagsfreizeit, sie spazieren auf dem Hof. „Ludwig, ich fahr’ sofort nach Berlin, geh’ zu Mutter Bauerbach und verkauf’ erst mal die Schuhe, die wir noch haben. Die bringen mindestens noch fünfundzwanzig Mark. Hundertfünfzig haben wir, macht hundertfünfundsiebzig. Am nächsten Tag fahr’ ich wieder her, miet’ mir in der Stadt ein Fahrrad gegen Pfand und warte abends um acht auf dich. Du türmst über die Mauer und wir sausen auf dem Rad in die Stadt, geben das Rad ab und fahren mit der Bahn, wohin gerade ein Zug fährt. Nur erst ’raus aus der Gegend. Und dann fahren wir nach Berlin. Wenn ich entlassen werde, krieg ich Freifahrschein nach Berlin. Nach hier zurück und für uns beide nach Berlin wird ungefähr sechzig Mark Fahrgeld kosten. Dann haben wir noch rund hundert Mark. Macht nischt, werden es schonwieder verdienen, in Berlin. In Ordnung, Ludwig?“
Ludwig sieht seinen Kumpel an, der seinetwegen unangemeldet hausen und mit ihm, dem dann wieder Gesuchten, zusammenleben will. „In Ordnung, Willi.“ Sie geben sich fest die Hand. — Einen Tag vor Willis Abreise legen sie alles genau fest. Wo Willi mit dem Fahrrad warten will, wann Ludwig über die Mauer zu jumpen hat.
Der Direktor läßt sich Willi zur Entlassung vorführen. „Hier haben Sie Ihr Geld, hundertfünfzig Mark. Hier, der Fahrschein nach Berlin. Und nun hoffe ich, daß Sie, Herr Kludas, trotz allem ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft werden. Guten Tag.“ „Tach.“
Ein Junitag, saftig und herrlich, begrüßt Willi. Und Willi begrüßt ihn; aber kurz und hastig ist der Gruß an die Freiheit, das Eintrinken des unvergleichlich schönen Sonnentages. Schnell, nur schnell zur Stadt, der Zug darf nicht versäumt werden. Freuen? Gewiß, Willi freut sich. Aber da drinnen steckt noch einer, der Ludwig, der will auch ’raus und sich freuen. Der muß erst in Sicherheit sein. Dann, wenn sie beide wieder in Berlin sind, ist genug Zeit, sich zu freuen. Schnell, schnell. Keine Bange, Ludwig. Wird alles prompt erledigt.
Da steht der D-Zug. Nee, jetzt brauchen wir nicht in die Holzwolle zu kriechen. Auch im Zug ist es besser als unter ihm. Los, los, Herr Lokomotivführer! Tempo, Tempo! Ludwig will Erbsensuppe bei Aschinger essen!
Berlin — Anhalter Bahnhof. Eine Riesenwelle quillt aus den brutheißen Abteilen, überschwemmt den Bahnsteig,grüßt, läßt sich begrüßen, schreit nach Gepäckträgern, schneuzt Wiedersehensfreude ins Taschentuch und brandet lärmend in die Bahnhofsvorhalle. Noch ist das Taglicht nicht ganz verschwunden und schon blitzt der Askanische Platz im Licht elektrischer Sonnen und dem Gesprüh der Lichtreklamen. Ein Sommerabend, warm, nicht zu warm. Die Menschen haben es nicht mehr so eilig. Die Luft macht angenehm müde, Frauen und Mädchen stützen sich weich und warm in die Arme ihrer Männer.
Geht mich vorläufig alles einen Dreck an, denkt Willi. Hin zu Mutter Bauerbach, Ziethenstraße, Neukölln. Vielleicht läßt sie mich eine Nacht dort schlafen, wenn unser Zimmer nicht vermietet ist. Morgen in aller Frühe Schuhe verkaufen, dann, hopp hopp, wieder in den Zug. Abends acht Uhr wartet Ludwig.
In der Ziethenstraße hängt das Vermieteschild. „N’Abend, Frau Bauerbach.“ „Sie, Herr … Herr …“ „Kludas heiß ich richtig, Frau Bauerbach.“ „Ich denke, Sie sind in der …“ „Entlassen, Frau Bauerbach, entlassen. Hier ist der Entlassungsschein. Ich bin jetzt mündig.“ Frau Bauerbach ist unter den Berliner Vermieterinnen eine Kostbarkeit schier musealer Seltenheit. Jede andere hätte die Tür vor dem Verbrecher zugeschmettert. Frau Bauerbach fragt und fragt und weint eine kleine, nette Träne als sie erfährt, daß Ludwig noch ein Jahr in der Anstalt aushalten muß. „Kann ich diese Nacht bei Ihnen schlafen? Morgen früh bring’ ich das Schuhzeug weg, und dann reise ich gleich wieder ab.“ „Aber ja, Herr Kaiweit … Herr … Kludas,aber ja.“
Um acht Uhr morgens des nächsten Tages ist Willi bei den Händlern und bietet das Schuhzeug an. Warum er so lange nicht gekommen ist, erkundigt man sich. „Krank
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