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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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sich verhalten und was er bei der Größe der Gruppe unternehmen soll, erkennt Darius Emre, der im Hintergrund am Stamm einer Kastanie lehnt und die Szenerie beiläufig beobachtet, als gehöre er nicht dazu. Im nächsten Augenblick biegen zwei Polizisten auf den Parkweg ein.
    Im Nu und dennoch ohne sichtbare Eile verschwinden die Jugendlichen im Gebüsch oder um die nächste Ecke. Nur Emre tritt auf den Mülleimer zu und hebt den greinenden Jungen aus der eckigen Öffnung.
    Die Frau, die Mutter des kleinen Rothaarigen, der sofort aufhört zu heulen, blickt Emre verwundert an und krault gedankenverloren Hals und Nacken ihres altersschwachen Hundes.
    Die Polizisten nicken mit einem Lächeln, das sich nicht festlegt, das für keinen Partei ergreift, und erst als sie weitergehen, bemerkt Darius, dass zwei Jungen der Gruppe nicht still und leise verschwunden, sondern stehen geblieben sind. Hastig sagt der Größere zum Kleineren etwas auf Arabisch, dessen Sinn Darius allenfalls ahnen kann.
    Doch bevor der ältere Junge dazu kommt, Darius anzusprechen, ihn eventuell zu beschimpfen, baut sich Emre, der den rothaarigen Sohn seiner perplexen Mutter achtlos übergeben hat, vor dem Größeren auf und sagt seltsam betont und übermäßig deutlich: »Das solltest du nicht probieren. Ich kenne ihn und ich weiß, was er mit dir machen wird.«
    Der arabische Junge zögert. Darius wartet und staunt.
    Weil der Junge sich nicht abwendet, sondern vor Darius verharrt und offenbar mit sich ringt, wie er sich verhalten und was er tun soll, fügt Emre nach einem Blick auf Darius hinzu: »Der Deutsche, das hat dein Bruder doch gesagt, ist es auch gar nicht gewesen.«
    Darius sieht das unentschlossene Nicken des größeren Jungen. Er sieht, wie der Junge sich umdreht und mit seinem jüngeren Bruder langsam durch den Park davongeht. Er sieht Emre, der ihnen folgt, ohne sich noch einmal umzuwenden, und kann kaum glauben, was sich vor seinen Augen abspielt.
    Nachdenklich verlässt er den Park mit dem Rummel, wählt die Nummer der WG und lauscht, während er sich langsam auf eine Bank im Schatten setzt, dem regelmäßigen Tuten seines Telefons.

VORGESCHICHTE

3
    Darius ist elf Jahre alt. Er ist kleiner und schmächtiger als die vier türkischen Jungen, die ihn auf dem Bolzplatz umstellt und in eine Ecke gedrängt haben. Aber er kann besser Fußball spielen, ist zielgenauer beim Elfmeterschießen: Er hat den Ball gegen Emre, den Anführer, und dessen Cousin, den dicksten Türken, durch seine Elfmetertore gewonnen. Eigentlich zurückerobert, denn der Ball gehört Darius. Und nun hält er ihn fest.
    »Der gehört mir«, sagt der Dicke.
    Whopper, so nennt Darius ihn und seinesgleichen insgeheim. Jetzt beugt sich der Cousin, ein Junge mit einer Narbe quer über der linken Wange, bedächtig zu ihm herunter.
    Darius schüttelt den Kopf und umklammert seinen Ball fester. »Geh raus«, hat sein Vater gesagt. »Werde ein Mann. Zeig’s ihnen allen!«
    Der dicke Türke, der sein Gesicht noch dichter an Darius’ Gesicht heranschiebt, riecht nach süßem, pinkfarbenem Kaugummi.
    »Isch weiß, wo dein Haus wohnt, fick disch!«
    Darius drückt den Nagel, den er immer in der Tasche bei sich trägt, mit der rechten Hand sanft gegen den Ball.
    »Nimm ihn dir doch«, sagt er leise.
    In seinem Rücken spürt er das schmale Loch im Maschendraht, zu eng für einen Whopper, zu eng für seine ähnlich dicken Freunde, aber auch für Emre, der groß gewachsen und muskulös ist.
    Zu eng für Darius, um schnell genug mit einem Ball hindurchzuschlüpfen, ohne von einem der Dickmänner an den Haaren festgehalten und wieder hochgezogen zu werden: wehrlos, weil der Griff in die Haare schmerzt und dir die Tränen in die Augen treibt.
    Sogar zu eng für Hakan, der gerade erst auf dem Platz eingetroffen ist: ein Jahr jünger, eine Klassenstufe tiefer und kaum größer als Darius. Hakan, der, obwohl er zu Emres Freunden gehört, abseits steht wie meist. Der sich nie an dem Gerede beteilig t – »ey Alter, isch fick disch, ey Alter, isch schwöre! « –, sondern nur manchmal mit den anderen Fußball spielt. Allein er und Emre sind Darius annähernd ebenbürtig.
    »Gib!«, zischt der Whopper. »Gib ihn her!«
    Und Emre, der Anführer, fügt in dem Slang, den er sonst selten benutzt, drohend hinzu: »Oder isch geb disch Bombe!«
    Darius schüttelt den Kopf, während sich der dicke Türke, der Cousin, an ihn drängt und ihm seine fleischige Pranke behutsam auf die linke Schulter

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