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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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schon immer.« Er sehe die anderen, das Gegenüber, die Gegner, in einer zugespitzten Situation wie Figuren auf einem Schachbrett. Könne vorhersagen, wer sich im nächsten Moment wie verhalten werde. Dann könne er reagieren, früher als von den anderen erwartet. »Na ja, und vielleicht waren die Schüsse wirklich zu fet t – aber andererseits: ohne die Pistol e …?« Jedenfalls schlage er vor, das Treffen zu vertagen und sich, der Gruppe, nach Abschluss der Antifa-Kampagne erst mal eine politische Pause zu gönnen. »Wir lassen das sacken, halten Kontakt zu den anderen Gruppen, aber erst ma l … « – er atmet tief durc h – »schlage ich vor, wir gehe n … mal wieder auf den Rummel. In der Hasenheide, da war ich seit Jahren nicht meh r …«
    Er mustert die Anwesenden, einen nach dem anderen, die ihn zunächst ungläubig anstarren. Zum Schluss fixiert er Hakan, der leise zu lächeln beginnt. Offenbar überrascht von Darius’ ungewohnt langer Rede, vor allem aber erleichtert, weil unverhofft ein Ausweg gewiesen ist, klopfen erst Cora und Alina, dann Marvin, Simon und Tomtom zustimmend auf Holz, pochen an Türen oder auf ein Fensterbrett. Hakan schließt sich, immer noch lächelnd, an.
    Doch obwohl Darius mit der Wirkung seiner Rede zufrieden sein kann und obwohl er eigentlich froh sein müsste, wie harmlos alles ausgegangen ist, fühlt er sich unwohl. Wieder hat sich etwas geändert, das ihm nicht behagt. Denn von Hakans Vorschlag scheint eine unterschwellige Bedrohung auszugehen, etwas, das nachwirkt wie ein schleichendes Gift.
    Bis auf Jan-Niklas (»ich mag Rummel nicht«) sind alle mitgekommen. Schon auf dem Weg merkt Darius, wie jeder seiner Freunde von einer großen Erleichterung erfasst wird. Er spürt, wie die Anspannung von ihnen abfällt, wie froh sie sind, die Kampagne beendet zu haben und glimpflich davongekommen zu sein. Und er sieht, kaum dass sie das Riesenrad und die Achterbahn hinter den Bäumen erkennen können, wie sich auf den Gesichtern eine fast übertriebene Vorfreude abzeichnet, eine beinahe kindliche Begeisterung, die sie herumalbern lässt, als hätten sie gerade ihr Abitur bestanden und besuchten nicht bloß einen Rummel im Park.
    Alles stimmt, denkt Darius und fühlt sich auf seltsame Weise glücklich wie seit Langem nicht mehr.
    Das Volksfest findet wie jedes Jahr auf den Wiesen hinter der vatikanischen Botschaft statt. Früher ist Darius regelmäßig hier gewesen, als Kind meist mit seinem Vater. Gemeinsam haben sie jeden Rummel, jeden Weihnachtsmarkt, jedes Volksfest in der Umgebung besucht, und als Darius gerade zehn Jahre alt war, hat ihm sein Vater beigebracht, wie man beim Schießen ein- und ausatmen muss, um sicher zu treffen.
    Schon vor Jahren ist es so gewesen, dass die »Festtage im Park« ab dem frühen Abend, häufig schon am späten Nachmittag vor allem von türkischen und arabischen Jugendlichen besucht werden, die die schmalen Wege zwischen den Buden und Fahrgeschäften blockieren. Daran hat sich nichts geändert. Nur die oft auffällig geschminkten Mädchen mit ihren nicht selten verblüffend bunten Kopftüchern scheinen mehr geworden zu sein.
    Als Junge hat Darius, zwölf oder dreizehn Jahre alt, den Rummel nachmittags verlassen, sobald die türkischen und arabischen Jungen in größeren Gruppen aufgetaucht sind, platzgreifend und breit und manchmal mit einem Pitbull ohne Maulkorb, während die türkischen Eltern mit den kleineren Kindern schon nach Hause gegangen waren.
    Darius erinnert sich, wie er einmal als kleiner Junge vom Spielplatz gekommen ist und wie ihn sein Vater gefragt hat, warum er schon so früh zurück sei.
    »Zu viele Türken«, hat Darius gesagt. Und sein Vater hat ihn bei den Schultern gepackt und ihm starr ins Gesicht gesehen.
    »Müsst ihr euch durchsetzen. Ihr seid doch die Deutschen!«
    Heute spielen die Unsicherheiten und Ängste der Kindheit keine Rolle. Alles passt zusammen und fügt sich zu einem großen, überwältigenden Bild: die Buden mit den Süßigkeiten und der Zuckerwatte, die türkischen Jungs mit ihren jetzt maulkorbbewehrten Hunden, das Büchsenwerfen, bei dem die erfolgreichen Werfer pro Tag nur dreimal gewinnen dürfen, das Riesenrad und die Achterbahn und die Schlangen kichernder Mädchen mit ihren Kopftüchern, die sich in der Luft überschlagende Schiffsschaukel, die Walzer- und die Geisterbahn und die Gruppen, die ihr verbliebenes Geld zusammenlegen und zählen, der Vampir, der sich, das bleiche Gesicht aus Pappmaché,

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